Querschnittsgelähmt am Computer?

Der Jochen hat mir geschrieben. Jochen sitzt mit einer Querschnittslähmung im Rollstuhl, benutzt seinen Computer aber alleine, ohne Hilfe. Wie das so geht habt ihr euch gefragt? Dann lasst euch das von Jochen erzählen. Nach dem Lesen des Beitrags wurde mir übrigens auch klar, was einer der Gründe ist, warum ich dieses Internet so verdammt liebe: Handicaps werden belanglos.

Mein Name ist Jochen Faas. Ich bin Jahrgang 1975 und lebe in Karlsruhe. Seit meinem zwölften Lebensjahr begeistere ich mich für Computer. Angefangen hat alles mit einem C64. Das ging bestimmt vielen anderen auch so und ist nichts ungewöhnliches. Aber ich bin nach einer Salmonelleninfektion und der Verkettung einiger dummer Zufälle querschnittsgelähmt ab C3. Das bedeutet ich kann noch meinen Kopf bewegen, aber alles darunter – auch meine Atmung – ist gelähmt. Darauf will ich jetzt aber nicht näher eingehen, das ist der falsche Blog dafür.

Ich möchte beschreiben, wie ich meinen Rechner „Freihändig“ bediene. Es gibt verschiedene Möglichkeiten. Ich habe nicht alle ausprobiert und kann nur von meinen Erfahrungen berichten. Angefangen habe ich mit einer Kinnmaus. Das ist ein Joystick, den ich mit dem Kinn bewege.

Nachteil war:
– Der Joystick wurde analog abgefragt und diagonale Mausbewegungen waren sehr schwierig. Der Kinnjoystick hatte Microschalter, die oft defekt waren. So ein Joystick wird nicht repariert sondern immer nur komplett getauscht, nicht gerade billig. Mit Hilfe eines Freundes habe ich dann selbst die Schalter besorgt und ausgetauscht.
– Rechtsklick ging nur mit Zusatzsoftware und war sehr umständlich.

Mit Windows 3.1 war das nicht so wichtig. Egal, das Ding war super. Ich konnte den Rechner selbst bedienen! Der Stecker passte sogar in die olle Atari VCS 2600 Spielkonsole. Leider konnte ich das nie ausprobieren.

Zwischenzeitlich machte ich auch Versuche mit Spracherkennungssoftware. Die wird zwar immer besser und auch bezahlbar, war aber nichts für mich. Da ich auch Atemgelähmt bin, muss ich während des Sprechen immer wieder pausieren und darauf warten, bis mein Zwerchfellschrittmacher wieder ausatmet und ich Luft zum Lautsprechen habe. Damit kam die Spracherkennung nicht zurecht. Die Software ist mittlerweile sicher viel besser geworden und kommt möglicherweise auch mit mir klar. Aber mir gefällt es nicht, ständig mit dem Computer zu reden. Mit der Zeit strengt es mich auch an. Vertrauliche Mails gehen schon gar nicht.

Eine Headmouse hatte ich auch probiert, aber nur kurz. Das funktioniert indem meine Kopfbewegung über einen Reflektionspunkt an meiner Brille gemessen und als Mausbewegung auf dem Bildschirm umgesetzt wird. Damit gab es wieder das Klickproblem und ich löste ständig ungewollte Klicks aus. Lag vielleicht auch an meiner Schusseligkeit. Dann musste ich zur Bewegung der Maus große Kopfbewegungen machen, was schnell anstrengend wurde. Ich will diese Lösung nicht verdammen, ich konnte sie auch nur kurz ausprobieren, aber für mich war das nichts.

Jetzt benutze ich eine Integramouse. Da reichen schon die Bewegungen meiner Lippen aus, um den Mauspfeil zu navigieren. Benutze ich jetzt schon seit einigen Jahren und ich bin hundertprozentig zufrieden damit. Das ist noch nicht alles. Irgendwie will ich ja auch ab und zu etwas schreiben 😉

Dazu gibt es eine Bildschirmtastatur. Es gibt auch hier verschiedene Lösungen: Ich nutze Click-n-Type. Warum? Es ist kostenlos.

Es gibt auch Programme mit Wortvorhersage, die mir das schreiben sicherlich erleichtern würden, diese kosten aber viel Geld. Deshalb bin ich da nicht mehr auf dem aktuellen Stand. Überhaupt, all diese Hilfsmittel sind teuer. Ob das berechtigt ist, kann ich nicht beurteilen, da ich nicht alle Fakten kenne. Dafür sprechen die kleinen Stückzahlen. Natürlich bleiben die Entwicklungskosten für diesen sehr speziellen Kundenkreis hoch. Krankenkassen lehnen die Kostenübernahme grundsätzlich ab. Ich finde das ungerecht, denn andere Hilfsmittel, wie ein Treppenlift, werden Menschen mit meinem Behindertenstatus auch subventioniert. Ich würde gern wählen können, was mir den Alltag tatsächlich erleichtert. Aber dieses Thema werde ich jetzt nicht weiter ausführen. Ich schweife ja wieso schon zu weit ab.

Jedenfalls bin ich unglaublich froh, die Möglichkeit zu haben, trotz meiner Behinderung einen Computer zu bedienen. Nur vor dem Rechner ist mein Handicap belanglos. Ich kann frei entscheiden was ich mache. Ob ich online Fremdsprachen lerne, oder waffenfähiges Plutonium verkaufe, egal, niemand muss mir dabei helfen. Das ist ein wunderbares Gefühl. Übrigens, bis jetzt habe ich beides noch nicht gemacht 😉

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Hallo, ich bin Carsten! Ich bin gelernter IT-Systemelektroniker und habe das Blog 2005 gegründet. Baujahr 1977, Dortmunder im Norden, BVB-Fan und Vater eines Sohnes. Auch zu finden bei X, Threads, Facebook, LinkedIn und Instagram.

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76 Kommentare

  1. Danke für diesen Beitrag, riesen respekt davor.
    Da zeigt sich mal wieder das es sich lohnt mehrarbeit in Barrierefreiheit zu stecken.

  2. Toller Beitrag, danke Jochen!

    Hier fielen ein paar Bemerkungen und Fragen zur Internetnutzung durch Behinderte und die oft mangelhafte Bedienbarkeit. Ich beschäftige mich seit Jahren beruflich mit dem Thema. Wer selbst Webentwickler ist und/oder als Blogbetreiber Zugriff auf die Dateien (PHP/HTML/CSS) hat, kann eine Menge tun, Menschen mit verschiedenen Handicaps die Internetnutzung zu erleichtern.

    Ein paar einfache Spielregeln:
    – macht Bilder zugänglich für Blinde: das heißt schreibt sinnvolle, kurze Texte für das Alt-Attribut. Vorausgesetzt, die CMS- oder Blogsoftware lässt das zu. Beispiel für das Bild ganz oben im Text: da steht „4661102365_a56b4b189d_z“ drin und genau so liest es ein Screenreader auch vor. Zitat: „Grafik 4661102365_a56b4b189d_z“. Sinnvoll und besser wäre hier „schwarzweißes Foto eines Schildes für einen Behindertenparkplatz“
    – macht Links zugänglich für Sehende, leicht Sehbehinderte und Unerfahrene: das heißt macht sie unterscheidbar vom restlichen Text durch andere Farbe, anderes Aussehen, Icons, Unterstreichungen, ausreichend Kontrast, oder oder oder
    – macht Links zugänglich für Tastaturbenutzer: das heißt wer keine Maus benutzen kann, sieht auch keinen mouseover-Effekt bei Links. Wer sich alternativ von Link zu Link durchhangelt, braucht einen sichtbaren Fokus. Probiert mal, Euch durch eine Seite allein mit der Tabulatortaste durchzubewegen (Sprung von Link zu Link). Und schaut mal, ob Ihr erkennt, auf welchem Link Ihr gerade seid. Oft wird in der CSS-Datei eine Definition für a:hover vergeben. Packt noch a:focus (und für alte IE auch a:active) dazu und man sieht den Link, wenn er aktiviert ist.
    – macht Links zugänglich für Blinde: über den Kommentaren steht eine Linkliste „Ähnliche Beiträge aus der Kategorie“. Alle Links sind selbstredend, man kann gut lesen, was sich dahinter verbirgt. Die berühmt-berüchtigten „mehr“-Links dagegen sind wertlos für Blinde, wenn sie nicht durch weitere Informationen angereichert sind. Blinde lassen sich durch Screenreader oft eine Übersicht aller Links einer Seite vorlesen, um so einen Überblick zu gewinnen. Hören sie 20 Mal „mehr“, ist die Seite wertlos. Bei Links, die man selbst aktiv schreibt, genügt es oft, nur ein wenig nachzudenken, um einen sinnvollen Linktext zu schreiben oder einen sinnvollen Textabschnitt eines Satzes zu verlinken. Bei automatisierten Links in CMS/Blogs ist etwas Programmierarbeit nötig, damit Links entweder mit unsichtbaren Zusatzinfos versehen werden oder ein sinnvolles title-Attribut bekommen.

    Für alle, die sich näher mit dem Thema befassen wollen, gibt es eine gute Quelle für den Einstieg: http://www.einfach-fuer-alle.de

  3. Mein größter Respekt Jochen ! und weiter so.

    LG
    Ingo

  4. Nur schade dass man solche Artikel nicht öfter zu sehen bekommt.
    Oder ich lese die falschen Blogs…

    Hab spaßeshalber mal nach der Integra Mouse gegoogelt und folgenden Preis gefunden: 2.142,00 €

    Wie finanziert man solche Ausgaben?

  5. noreplyyet says:

    Danke für den super Artikel. Gerne mehr davon. Aus der Sicht habe ich noch nichts über das Internet gelesen.
    Und super das du die Gastartikel anbietest, sonst wäre mir schon öfters etwas spannendes entgangen.

  6. Danke für die vielen Kommentare.
    Einen Blog habe ich noch nicht. Ein Videoblog wäre für mich wahrscheinlich aufwändiger, als so zu tippen.
    Mit Barrierefreiheit im Internet habe ich eigentlich nichts zu tun, mit meiner Steuerung komme ich mit allen Seiten klar. Das Thema ist aber für viele Leute sehr wichtig und mit nur wenig Aufwand werden Seiten Barrierefrei. Je mehr Seiten entsprechend gestaltet sind, desto besser.
    Den Neural Impulse Actuator werde ich mir ansehen.
    Zum Medien wechseln und auch für alle sonstigen Handgriffe brauche ich natürlich Hilfe
    Zu meiner Schreibgeschwindigkeit werde ich mal ein Video machen, nur so kann ich das anschaulich machen. Es ist zwar langsam, aber strengt mich nicht an.
    Den Gastbeitrag habe ich bei Cashy geschrieben, weil mir sein Blog gut gefällt.
    Zum Thema Spenden: Erst mal vielen Dank an Alle Spendenwilligen. Im Moment bin ich gut Ausgestattet. Ich bin am 19. Mai Auf der REHAB Messe in Karlsruhe. Sollte ich da etwas neues Finden, das einen echten Mehrwert für mich hat, melde ich mich nochmal.
    Wenn ich wieder einmal ein passendes Thema habe, frage ich Caschy ob er nochmal Platz in seinem Blog macht.

  7. @Stephan: Auwei, Jochen hat trotz grosser Behinderung seinen Humor behalten – viele andere haben ihn grundlos verloren…

    @Jochen: Schön zu lesen, dass auch Du mit den alltäglichen Problemen eines Computerusers zu kämpfen hast – halt nur mit anderer Software und anderen Mäusen ;o)

    @Kranke(n)kassen: krebskranken Rauchern die megateuren sterbebegleitenden Massnahmen bezahlen und in diesem Fall nicht mal die Kosten für eine Software übernehmen… tolles System.

    @Caschy: ich bin dafür, dass Jochen hier einmal im Monat einen Beitrag zu einem Thema aus seinem alltäglichen Umgang mit dem Computer und anderer Technik schreibt, da gibt es bestimmt noch einige interessante Themen.

  8. diewahrekraehe says:

    Hi Jochen. Du bist cool. Hast mich auf die Idee gebracht, meine Sprachstudien weiter zu uehren. Gruesse aus Freiburg.

  9. danke @Caschy und @Jochen für diesen Artikel. Und noch ein Senf von mir zur Bildschirmtastatur: Dasher (http://www.inference.phy.cam.ac.uk/dasher/deutsch/). Bisschen gewöhnungsbedürftig, aber langfristig vielleicht angenehmer, wenn Du mit Deiner Maus gut klarkommst.

  10. @Nelly Dasher habe ich mir schon einmal auf YouTube angesehen. So zu schreiben, kann ich mir nicht vorstellen. Aber meine Art ist auch für viele eigenartig

  11. Ich finde es toll, wie Jochen hier über sein Handicap schreibt, vor allem, wie er das Netz nutzen kann.
    Ich habe zwar selber ein Handicap, aber kein so gravierendes wie Jochen.
    Danke, Caschy, dass Du Jochen die Möglichkeit gegeben hast, hier eine Plattform zu finden, wo er aus seinem Leben schreiben kann.
    Es ist schlimm, dass die Krankenkassen da jemanden immer Steine in den Weg legen, wenn jemand schon so gestraft ist, wird diese Person nochmal von den Krankenkassen bestraft.
    Ich würde mich freuen, mehr von Jochen zu lesen, ob nun hier bei Caschy oder ggf. in einem eigenem Blog.

  12. Ich möchte mich bei dir, Jochen, bedanken, dass du so offen über deine Problematik schreibst. Ich bin selbst leicht behindert und habe einen Freund der eine ähnliche Behinderung wie du hast. Bis heute hat er noch nicht das optimal Eingabemedium gefunden hat, aber vielleicht ist dein Favorit der Integramouse auch bei ihm die Lösung schlecht hin.

    Und an dich Caschy, wirklich toll das du einen solchen Beitrag in deinem Blog veröffentlicht, denn Plattformen die sich mit solch einer Thematik befassen werden zumindest spärlich besucht (und auch nur von Personen die ähnliche Probleme habe.).

  13. Hi toller Beitrag, ich stelle mir das echt schwer vor finde es aber gut das sich auf de Gebiet was tut und du die Freiheit im Netz genießen kannst. Was ich nicht verstehen kann warum einem die Krankenkasse nicht unterstützt. Wenn es auf der Messe was gibt was dir eine Erleichterung bringt, scheiß auf den Preis mit so vielen Leute hier, packen wir das schon.

    Gruß

    Johnny

  14. Ich habe jetzt auf YouTube ein Video hochgeladen. Es zeigt, wie ich schreibe.
    http://www.youtube.com/watch?v=vVng5FktjTw

  15. Jochen, ich habe Dir auf Youtube einen Kommentar hinterlassen. Ich kann mir jetzt vorstellen, wie lange Du an dem Artikel hier gesessen hast. Ist ja Wahnsinn, aber es funktioniert…zum Glück.

  16. Hallo Jochen,

    ein riesen Respekt erstmal.
    Ich finde es super mal einen solchen kleinen Einblick zu bekommen, auch mit dem Video.
    Ich würde mich sehr freuen, mal mehr von dir zu lesen, dass sind halt Themen, mit denen man sich so gar nicht befasst. Aber dennoch wahnsinnig Spannend sind.
    Ich nehme das für mich auch mal so als Wake-Up.

    LG
    Toby

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