„Persona 5“ angezockt: Vom Stil erschlagen

Die Spieleserie „Persona“ bzw. die Dachmarke „Shin Megami Tensei“ sind in Europa bisher eher unbekannt. Größtenteils liegt das daran, dass die ersten Teile bei uns entweder gar nicht oder erst mit deutlicher Verspätung erschienen. Eigentlich erlangte die JRPG-Reihe in hiesigen Breitengeraden erst durch „Persona 4 Golden“ für die PlayStation Vita etwas mehr Aufmerksamkeit. Nun ist ohne das Tamtam großer Triple-A-Blockbuster wie „Final Fantasy XV“ für die PS3 und PS4 „Persona 5“ erschienen. Und das Game rollt das Feld sozusagen von hinten auf.

Falls ihr die Liste meiner bisherigen Lieblingsspiele des Jahres 2017 gelesen habt, dürfte euch klar sein, dass ich etwas für schräge Titel übrig habe: Deswegen landete „Yakuza Zero“ bei mir aut Platz 1. Ja, das Spiel hat mir persönlich deutlich mehr Spaß gebracht als z. B. ein „Horizon Zero Dawn“ oder auch ein „Mass Effect: Andromeda“. Ich mag die absurde Note und den manchmal etwas überdrehten Charme japanischer Spiele. Da ich auch dem ein oder anderen Anime wie „Space Dandy“, „Soul Eater“ oder „Kids on the Slope“ alles andere als abgeneigt bin, müsste „Persona 5“ ja alle meine Träume erfüllen…

Wer Anime mit gerümpfter Nase betrachtet, sollte von „Persona 5“ dann aber übrigens wirklich die Finger lassen: In der ersten Spielstunde schaut man fast pausenlos Zwischensequenzen, lauscht Charaktergesprächen und sieht sabbelnden Zeichentrick-Portäts zu. Hier handelt es sich um ein storylastiges JRPG, das sich Zeit nimmt sein Setting zu etablieren und die Charaktere vorzustellen.

Dabei hampelt man bei „Persona 5“ nämlich nicht in einer Fantasy- oder Science-Fiction-Welt herum, sondern im modernen Japan. Man verkörpert auch keinen Held in strahlender Rüstung oder einen Weltraum-Krieger mit Zahnpastagrinsen. Stattdessen ist man ein frustrierter Schüler. So wurde der Hauptcharakter seiner Schule verwiesen und sucht nun an der Shujin Academy gezwungenermaßen einen neuen Anfang. Dabei hat sich einiges an Frust aufgestaut: Der Protagonist griff ein, als in einer dunklen Gasse eine Frau bedroht wurde. Doch der Angreifer zeigte ihn wegen Körperverletzung an. Statt als Retter wurde der Hauptdarsteller als Täter gebrandmarkt.

Das Spiel beginnt mit einem Prolog, der jene Ereignisse komprimiert und zugleich zeigt, wie der Hauptcharakter in der Zukunft bei einem spektakulären Einbruch gefasst wird. Denn es verstreicht wenig Zeit, bevor in „Persona 5“ zum schnöden Schülerdasein eine zweite Ebene kommt: Mit neuen Freunden kann man als Truppe der Phantom Thieves die Psyche anderer Menschen infiltrieren und manipulieren. Das kann zum eigenen Nutzen sein, um einen tyrannischen Lehrer zum Umdenken zu bewegen oder um anderen Menschen zu helfen, indem man etwa einen korrupten Politiker stoppt.

„Persona 5“ kredenzt dabei zwar eine oft kunterbunte Anime-Welt und zeigt viele Ausschnitte eines typischen Teenager-Lebens, scheut aber nicht gerade davor zurück gesellschaftlich brisante Themen anzugehen. Korruption, Missbrauch, Depressionen… Da ist die Altersfreigabe „Ab 16 Jahren“ gerechtfertigt. Klar, dass auch viele Kämpfe in so einem JRPG eine Rolle spielen: Dabei geht man rundenbasiert vor, also wie in alten Zeiten. Ein Action-Rollenspiel wie „Final Fantasy XV“ ist „Persona 5“ also nicht einmal im Ansatz. Das ist auch gut so, denn die Kämpfe spielen sich wunderbar taktisch und sind so durchgestylt, wie ich es bisher in noch keinem anderem Game erlebt habe. Allein die Auswahlmenüs für die verschiedenen Aktionen: Da war ein Designer aber richtig mit Liebe dabei.

Mich erinnert die Ästhetik dann eben auch vage an einen meiner Lieblings-Anime, „Soul Eater“. Klar, diesen leicht überdrehten, sehr jugendlichen Style muss man mögen. In den Kämpfen kommt dann auch das titelgebende Element zum Tragen, die Persona. Es handelt sich hier im Grunde um Masken, die man dadurch sammelt, dass man mit besiegten Gegnern verhandelt. Sind diese bei guter Laune, schließen sie sich sozusagen der eigenen Truppe an und man kann ihre Fähigkeiten nutzen und sie weiter entwickeln – oder mit anderen Persona kombinieren, um völlig neue Wesen zu erschaffen. „Pokémon“-Fans werden hier ihre wahre Freude haben.

Mir gefallen die Kämpfe zwar ausgesprochen gut, doch das eigentliche Highlight von „Persona 5“ sind die Elemente, die man auf den ersten Blick vielleicht als langweilig abstempeln würde: das Alltagsleben an der Shujin Academy und das Knüpfen von Kontakten zu anderen Charakteren. So erhält man durch fortwährende Aktionen mit anderen Charakteren sogenannte Socal Links, welche einem Vorteile bringen. Etwa erhalten die Verbündeten in Kämpfen neue Fähigkeiten, eine Lehrerin lässt einen straflos den Unterricht verpennen oder man verdient mehr Geld bei Nebenaufgaben.

Mit letzteren meine ich nicht nur klassische Nebenquests – ja, auch von jenen gibt es eine geballte Flut. Jedoch kann man sich auch anderen Tätigkeiten widmen: Als Aushilfe kellnern, in der Bibliothek Bücher wälzen oder bei einem heißen Bad entspannen. Doch das ganze hat einen Haken: Jeder Tag bietet in „Persona 5“, eben ganz wie im echten Leben, nur beschränkte Zeit für Aktivitäten. Man muss sich also fortwährend entscheiden: Hänge ich mit meinen Freunden rum und verbessere meine Beziehung zu ihnen? Oder jobbe ich etwas, damit ich mir bessere Ausrüstung leisten kann? Vielleicht sollte ich auch lieber an einem Wettessen teilnehmen, um einige Charakterwerte zu verbessern? Das liegt eben beim Spieler.

Dabei greifen viele Mechaniken ineinander. Kaufe ich mir etwa ein paar Bücher, kann ich jene auf dem U-Bahn-Trip zur Schule lesen und die Zeit so produktiv nutzen – das steigert nämlich auch meine Eigenschaften. Beim ersten Durchspielen ist es aber unmöglich alles mitzunehmen und durch diese Art des Spieledesigns lädt „Persona 5“ geradezu zum wiederholten Durchspielen ein. Wer nun denkt: „Ok, beschränkte Zeit, viele Möglichkeiten für Aktivitäten, am besten mehrmals Durchspielen: Dann ist das Game bestimmt nicht so umfangreich.“ Weit gefehlt, ich habe das Spiel zwar lange nicht durch, doch im Schnitt sollte man wohl so 60-80 Stunden für einen Durchgang veranschlagen. Bringt also Zeit mit, wenn ihr Bock auf „Persona 5“ haben solltet.

Die Vorgänger müsst ihr übrigens nicht gespielt haben – hatte ich selbst ja auch nicht. „Persona 5“ erzählt eine für sich stehende Geschichte. Es gibt zwar wohl einige Querverweise für Fans, aber man verpasst nichts Wesentliches. Erwähnt sei an dieser Stelle aber auch nochmal der sehr coole Soundtrack des Spiels, der extrem an Anime-Serien erinnert und eine waghalsige Mischung aus Pop, Jazz, Rock und Klassik bietet – wirklich hörenswert und atmosphärisch stets passend.

Trotzdem ist „Persona 5“ eben kein Spiel für jedermann: Man sollte Anime einigermaßen mögen und sich für JRPGs begeistern können, die einem viel Zeit abverlangen. Die investierte Zeit wird hier mit wirklich sauguter Unterhaltung belohnt. Denn die gut geschriebenen Charaktere und die erstaunlich vielschichtige Story lassen z. B. ein „Mass Effect: Andromeda“ in diesem Bezug geradezu lachhaft wirken.

Grafisch sieht man „Persona 5“ hingegen an, dass die Entwicklung ursprünglich mal auf der PS3 begonnen hat – für jene ist das Game ja schließlich neben der PS4 ebenfalls erhältlich. Durch die perfekt abgestimmte Ästhetik ist das Game aber trotzdem sehr hübsch anzusehen.

In der letzten Zeit sind viele, gute Rollenspiele erschienen: „Final Fantasy XV“, „Mass Effect: Andromeda“ oder andere Titel mit RPG-Elementen und (halb)offenen Spielwelten wie eben „Yakuza Zero“ oder „Horizon Zero Dawn“. Aber „Persona 5“ ist meiner Ansicht nach etwas Besonderes und wer in den nächsten Monaten nur Zeit haben wird, um ein Rollenspiel zu zocken, der sollte hier zuschlagen. Kleiner Beweis: Mir hat das Spiel bisher so gut gefallen, dass ich unbedingt noch „Persona 4 Golden“ nachholen möchte – ich bin jetzt Fan.

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Hauptberuflich hilfsbereiter Technik-, Games- und Serien-Geek. Nebenbei Doc in Medienpädagogik und Möchtegern-Schriftsteller. Hofft heimlich eines Tages als Ghostbuster sein Geld zu verdienen oder zumindest das erste Proton Pack der Welt zu testen. Mit geheimniskrämerischem Konto auch bei Facebook zu finden.

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6 Kommentare

  1. Hatte mich auch auf das Spiel gefreut, aber mal wieder ohne deutsche Untertitel, schade.

  2. Christian says:

    Persona 4 golden war das beste Spiel für die Vita. Ich habe weit über 100 Stunden damit verbracht. Damit war ich dann aber auch fertig und habe es nicht noch einmal durchgespielt. Auf einem Handheld würde ich es wieder spielen, aber nicht vor der Konsole.

  3. Obwohl ich von JRPGs nornmalerweise die Finger lasse, bin ich hier doch interessiert. DIe Berichterstattung rund um das Game und ein paar Blicke in Let’s Plays haben mich neugiereig gemacht.

    Bei einem niedrigeren Preis, vielleicht im Sommer, so um die 40 Euro schlage ich bestimmt mal zu. Aber 70 Euro, und dann noch ohne jegliche deutsche Lokalisation, sind mir einfach zu viel.

  4. Die aktuelle Game Two Folge berichtet ebenfalls sehr ausführlich über das Spiel 🙂

    Finde es auch sehr schade, dass die Spielereihe, wie einige andere auch, keine deutsche Übersetzung haben.

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