Ubuntu für jedes Gerät: Smartphone, Tablet, TV, PC – Ein direkter Angriff auf Windows 8? [Kommentar]
Es war am Dienstag mal wieder soweit, Canonical schaltete einen großen Countdown einen Tag zuvor und präsentierte medienwirksam die noch fehlende Gerätekategorie Ubuntu für Tablets, nachdem man Anfang des Jahres bereits Ubuntu für Phones ganz groß vorstellte. Dazu gesellen sich die schon länger bekannten Projekte Ubuntu TV und Ubuntu für Android.
Die Strategie dahinter überrascht nicht wirklich, die Pläne hatte Mäzen Mark Shuttleworth bereits vor einiger Zeit formuliert. Inzwischen sieht man aber auch die zukünftige Umsetzung und eine ganz klare Ausrichtung und Positionierung von Ubuntu. Der direkte Konkurrent sind nicht die klassischen mobilen Betriebssysteme, wie iOS oder Android, sondern ganz klar Windows 8 von Microsoft.
Dafür ist man inzwischen auch bereit, den bekannten Bug #1, ganz offensiv anzugreifen. Bereits letztes Jahr, zur Vorstellung von der neuen Ubuntu Version 12.10, erschien kurze Zeit ein großer Banner, der Ubuntu ganz klar als die bessere Alternative, zu Microsofts neuem Betriebssystem Windows 8, positionieren sollte.
Nach einigen Protesten nahm man den provokanten Schriftzug wieder von der Webseite, zeigte jedoch das man zukünftig aggressives Marketing führen möchte. Wenn man eines Canonical und Shuttleworth zugute halten muss ist, dass man die gängigen Marketinginstrumente gut beherrscht. So ist es kein Wunder, dass die letzten Ankündigen die gesamte Techwelt neugierig machten. Dies ist auch direkt eines der zentralen Konzepte in der Strategie: Bring die Marke Ubuntu aus dem klassischen Nischensegment Linux heraus und mache sie dem wenig technikbegeisterten Endbenutzer bekannt. Schließlich kommt dieser in der Regel ansonsten nur mit vorinstallierten Windows-Versionen in Kontakt.
Eine große Chance bei Ubuntu sieht man ganz klar, seit Microsoft ihre Neugestaltung des kompletten Betriebssystems vorgenommen hat und neben dem klassischem PC auch ihre Surface-Tablets und ihr Windows-Phone mit einem einheitlichen System ausstattet.
Das Prinzip eines Betriebssystems für sämtliche Geräteklassen ist bei beiden sehr ähnlich gewählt. Bei den Gesten und dem geteilten Bildschirm fühlt man sich ab und an auch an den Konkurrenten aus Redmond erinnert. Jedoch setzt man bei Canonical darauf, dass Microsoft nur ein halbgares Produkt auf den Markt geworfen hat. Diesen Punkt kann ich in großen Teilen nur bestätigen. Wer länger mit Windows 8 gearbeitet hat, bemerkt ständig Inkonsistenzen zwischen der neuen Modern UI-Oberfläche und dem traditionellen Desktop, weshalb ich nur wenige kenne, die von der neuen Oberfläche auf dem Desktop vollständig überzeugt sind.
Genau hier setzt Canoncial mit seiner Unity-Oberfläche an und will eine deutlich bessere Benutzererfahrung bieten, als sie Steven Sinofsky mit dem Umbau von Windows bis zu seinem Abgang erreicht hat. Betrachtet man die ersten Videos (die Vorschau zum selbst installieren wird am 21. Februar veröffentlicht) gelingt dies auch tatsächlich. Das System wirkt durchdacht und überrascht mit gutem Design.
Nach meiner Einschätzung besitzt man mit Ubuntu tatsächlich ein System in der Entwicklung, welches sich gut als produktives, mobiles System eignen kann. Dabei konzentriert man sich zunächst gar nicht primär auf den normalen Konsumenten, dieser wird trotz innovativer Benutzerführung wohl eher auf iOS oder Android setzen, alleine weil das App-Ökosystem wohl nicht so rasant wachsen wird, trotz guter Dokumentationen, Beispiele und ein vorhandenes SDK, um Entwickler für die Plattform zu begeistern.
Die Zielgruppe von Canonical wird aber gerade zu Beginn eher nicht der einfache Endbenutzer sein, wie man auch aus einigen Interviews mit Shuttleworth immer wieder hört. Schaut man sich die offizielle Produktseite an, entdeckt man einige relevante Themen für Firmen. So hebt man unter anderem die unterschiedlichen Benutzerkonten mit kompletter Verschlüsselung besonders hervor. Aber auch die Möglichkeit Windows-Applikationen über Streaming-Protokolle zu nutzen, dürfte Business-Anwender genauso ansprechen, wie die Split-Screen Multitasking-Funktionalität.
Genau hier dürfte die gewünschte, zahlende Zielgruppe zu finden sein, wenn man später Hardwarepartner für das System präsentieren wird. Grund der Konzentrierung und Weiterentwicklung auf den mobilen Sektor ist allerdings nicht der hehre Gedanke der Open-Source-Gemeinschaft für eine bessere und freie Softwarekultur (obwohl man wie immer den kompletten Quellcode bereitstellen wird), sondern ganz klares langfristiges Gewinnstreben.
Shuttleworth, als nobler Spender des Projektes, betont immer wieder, dass Ubuntu derzeit nicht profitabel ist. Reine Supportdienstleistungen, Ubuntu für die Cloud und Launchpad bringen zwar Einnahmen, aber längst nicht genug, um die bestehenden Entwicklungskosten zu decken. Da er nicht ewig sein Privatvermögen investieren möchte, muss man Wege finden, dass sich Ubuntu langfristig trägt. Dies kann man voraussichtlich hauptsächlich über die Business-User, im Consumer-Bereich wird die Konkurrenz zu stark sein. Ein Markt den Microsoft gerne für sich beansprucht, aber gerade mit Windows 8 noch nicht so klar besetzen kann, wie gewohnt.
Das Wachstum von Ubuntu kann nur über den mobilen Sektor kommen, schließlich will man bis 2015 etwa 200 Millionen Nutzer mit Ubuntu ausstatten. Dabei wird man allerdings nicht ausschließlich auf die optimierten Touchscreen-Oberflächen setzen, sondern glaubt auch weiterhin an eine Zukunft der klassischen Bedienung über die Tastatur.
Die ganze Strategie klingt zunächst vielversprechend und könnte aktuell für viele eine interessante Alternative zu Windows 8 sein. Problematisch sehe ich allerdings, wie bei allen Projekten von Canonical die Hardware voraussetzen, passende Partner ins Boot zu holen. Man präsentiert zwar großartig auf einer extra geschalteten Seite schon die Hardwarevoraussetzungen, aber es ist weiterhin völlig unklar, wo, wann und bei wem man das System später vorinstalliert kaufen kann.
Dies zieht sich wie ein roter Faden durch sämtliche Präsentationen. Es gibt bis heute kein zu kaufendes TV-Gerät mit Ubuntu, kein vorinstalliertes Ubuntu für Android (immerhin schon vor einem Jahr auf dem Mobile World Congress gezeigt) auf Smartphones und erst recht keine Smartphones und Tablets. Die Software kommt weitestgehend überall gut bei der Präsentation an, danach hört man aber einmal mehr, dass frühestens im ersten Quartal 2014 erste Smartphones ausgeliefert werden sollen. Entgegen ersten Ankündigungen im Oktober erwartet Shuttleworth laut einem kürzlichen Interview nicht, dass wir vor 2014 erste Ubuntu Smartphones sehen werden.
Natürlich muss man Partner von dem System überzeugen, damit diese ihre eigenen Anpassungen und Apps ausliefern können, um an Ubuntu generell interessiert zu sein, gerade wenn man bisher keine relevante Marktgröße hat. Solange hätte man aber dann wohl eher mit der Ankündigung warten sollen, dann aber auch mit konkreten Details und bestenfalls einer Vorbestellungsmöglichkeit auftrumpfen können. Der jetzige Zeitraum ist mir persönlich viel zu lang und das Geschäft schnelllebig. Das Gefühl des Haben-Wollens beim Konsumenten legt sich schnell, wenn andere Konkurrenten mit interessanten Neuerungen schneller liefern können.
Microsoft arbeitet bereits an schnelleren Aktualisierungszyklen mit Windows Blue, bei Google wird man einiges bei Android auf der kommenden IO vorstellen, eine größere Zusammenführung von Chrome OS und Android, wer weiß – Die Konkurrenz schläft nicht. Natürlich wird es wieder einige geben, die Ubuntu auf dem Nexus 7 oder Nexus 10 installieren, ohne richtige Hardwarepartner wird sich Ubuntu aber keinen größeren Marktanteil sichern können.
Ob man den übermächtigen Konkurrenten Microsoft mit Windows 8 wirklich angreifen kann, wird die Zeit zeigen. Jedoch sollte man schnellstmöglich konkrete Partner verkünden, ansonsten bleibt vielleicht wieder einmal nur ein Nischendasein und Ubuntu ein gutes System für technikaffine Benutzer, aber kein System für den Business- oder Enduser.
Das Potential, um kräftig Bewegung in den Markt zu bringen, hat man allerdings. Gerade die Idee, dass man mit einem Endgerät, z.B. dem Smartphone, jede Geräteklasse nutzen kann, könnte neue Nutzerschichten aktivieren, welches die Konkurrenz erstmal kontern muss.
Ich ziehe meinen Hut.
Muss caschy hier zustimmen, Patrick ich habe Deinen Beiträgen bisher oft skeptisch gegenüber gestanden, aber der Artikel ist wirklich gut geschrieben.
Neutral, ohne irgendwelches Fan-Gehabe, beleuchtet verschiedene Gesichtspunkte und mögliche Szenarien und ist in einem angenehmem Stil verfasst.
Nur weiter so!
Ich auch. Super Kommentar, Patrick.
Auch von meiner Seite nur Lob zu dem Beitrag. Ich fands von Anfang an klasse, dass du nun auch hier schreibst, weil du caschy wirklich perfekt ergänzt. Weiter so!
Super Artikel und Full Ack zum Inhalt!
Mehr davon!
…wow… danke für den Beitrag
Ja, Daumen hoch von mir. Sehr schöner Artikel.
🙂
Super Beitrag, danke. Ich sehe das Hauptproblem auch darin, das bisher nur gezeigt wurde/wird was möglich ist. Die passende Hardware fehlt allerdings um auch den Endnutzer direkt anzusprechen. Denn der „normale“ Nutzer wird sich Ubuntu sicher nicht auf seinem Smartphone installieren. Das Interesse ist sicher groß, schwindet aber schnell wenn die Konkurrenz mal wieder den nächster Kracher vorstellt, dem stimme ich 100%ig zu. Hier sollte sicher das ganze Potenzial ausgeschöpft werden.
>> Diesen Punkt kann ich in großen Teilen nur bestätigen. Wer länger mit Windows 8 gearbeitet hat, bemerkt ständig Inkonsistenzen
Bor… ich habe letzte Woche Samstag einen Win 2012 installiert und der ist seit Montag als Domänen-/File-/WSUS-/Log-/etc-Server in Produktivbetrieb. Was haben die sich nur bei der Bedienung gedacht!? Ohne Mist – ich würde alle Verantwortlichen rauswerfen (der eine wurde ja schon gegangen). Unerträglich für SERVER.
Ich hoffe sehr, dass da mehr hintersteckt, als Marketing-Gewäsch – die Sorge treibt mich momentan etwas um, dass sieht fast zu gut aus, um wirklich wahr zu sein, und ob ein vergleichsweise kleiner Verein wie Ubuntu bzw. Canonical das schafft, was bisher weder Apple noch Microsoft oder Google geschafft haben – ein System für alle Geräteklassen – das lässt mich momentan noch zweifeln. Dafür brauchts einfach richtig viel Manpower.
Wünschen tu ich es mir – das System sieht klasse aus in den Präsi-Videos, und wenn ich dann mal wirklich alles in einem System hab, anstelle 20% meiner Zeit mit Synchronisations- und Cloudsharing-Themen zu verschwenden – dann werden mobile Geräte erst richtig interessant. 🙂
Gut geschrieben. Bin gespannt, was die Zeit so bringt
kann dem nur beipflichten – der Schwerpunkt liegt auf dem Großkunden KMU Markt- Privatanwender werden zwar in die PR eingebunden, man investiert aber nicht wirklich alles auf Canotics Seite – um wirklich Marktanteil im Privatanwenderbereich zu erzwingen.
Hier ist SUSE schon gescheitert – für die Distributionen, die auch gegen Endgeld auf DVD/CD zu erstehen waren.
Es dürfte niemand Privat für ein Linux System Geld hinlegen, wenn es freie ähnliche Software gibt. Es gibt auch nicht, wie bei Microsoft durch Office oder andere Programme Kundenbindung.
Was aber auch zu erwähnen ist und Shuttleworth am Rande angesprochen hat, man arbeitet mit ASUS und anderen Herstellern auf OEM Basis zusammen. Ich sehe auch Microsoft als größten Konkurrenten, es wird sich aber – am Verhältnis zu Google, dessen Firmeneigenes Betriebssystem Gooubuntu entscheiden, ob Ubuntu den mobilen Markt penetrieren kann.
Ubuntu hat meiner Ansicht nach das beste Konzept – wichtiger ist aber die Finanzierungsstrategie.
offtopic
Ich bin nach wie vor etwas skeptisch, dass du hier im Blog schreibst, hatte das in der Abwesenheit Caschys letztlich ja noch erwähnt,
aber ich denke, dass ist der erste Artikel von dir der wirklich mal was in die Tiefe geht und nicht nur so ein Blabla ist (wie leider einige deiner anderen Berichte, meine Meinung).
Mal sehen wie sich das entwickelt…
Danke für den guten Bericht, kann dir nur beipflichten.
Ich für meinen Teil, der seit vielen Jahren Ubuntu Desktop/Server sowohl im Privat als auch im Firmenumfeld einsetzt, hoffe dass sie den Schritt gegen die Großen überleben und nicht alles in einer Werbe-Blase verpufft.
Ubuntu hat hier ein wirklich gutes Konzept, ob es gegen langjährig etablierte und gewinnorientierte Unternehmen reichen wird, bleibt abzuwarten.
Rubberduck
Zu diesem Thema ist auch noch der Kommentar von Aaron Seigo auf Google+ interessant:
https://plus.google.com/107555540696571114069/posts/HSL2C21DJt7
http://www.pro-linux.de/news/1/19461/aaron-seigo-kritisiert-canonical.html
Unity ist auf dem Desktop absoluter Trash. Musste neulich mal kurz Ubuntu bzw. ein Linux installieren und hätte soviel kotzen können dass das Schwimmbecken hätte füllen können.
Hui … was mir da gerade durch den Kopf schiesst. Was macht Google bzw. Amazon, wenn ein groesserer Anteil der Nutzer die subventionierten Angebote wie Nexus/Kindle kaufen, aber dann diese Geraete mit Ubuntu nutzen?
Das wird interessant (natuerlich muss es erst einmal dazu kommen, dass es eine bestimmte Masse an Leuten gibt, die sowas wollen). Mal gucken, ob es dann auch das ganze UEFI Gedoehns auf dem Handy geben wird.
An sich finde ich die Entwicklung gut. Eine Rundum-Plattform wie bei Apple, allerdings ohne den ganzen Einschliess- und Preisschmerz von Apple. Koennte durchaus gut werden.
Netter Artikel. Kleine Ergänzung: Im Gegensatz zu WIn8 (Win8/Win8RT/WinPhone8, alle zueinander inkompatibel) , IST Ubuntu wirklich EIN System für JEDES Gerät. Angepasste Oberfläche ans Endgerät, aber was auf dem PC compiliert, compiliert auch auf dem Smartphone und läuft daher dort ohne große Anpassungen genauso, DAS ist die Sache, die mich reizt!
@Eddie: es klingt wirklich gut. Aber Plattformen die das versprachen gab es schon einige (ich glaube die letzte war Meeto). Aber QT und Konsorten haben bislang keinem verholfen, auch wirklich etwas Ueberzeugendes zu erreichen. Ob das mit QML nun mit einmal anders wird, ist fraglich. Ich drueck die Daumen …
Wenn die das schaffen, hat Microsoft (wie auch Apple u.a.) keine Chance mehr. Open Source ist in vieler Hinsicht besser:
Sicherer, weil transparent, Open Source.
Kostenlos, Open Access für alle.
Vielfältiger, weil an keine Investoren/Shareholder gebunden, Open Space zum Mitmachen.
Fehlt nur noch eine visuelle Programmiersprachenrevolution, damit wirklich jeder Open Access hat, auch bei der Entwicklung des Produkts!
Ich stimme den anderen voll zu! Deine Artikel werden immer besser und machen Laune auf mehr! Weiter so 🙂