„Marvel’s Avengers“ im Test: Zwischen Spektakel und Monotonie

Square-Enix hat mit „Marvel’s Avengers“ ein Superhelden-Spiel auf den Markt gebracht, das sicherlich viele Marvel-Fans heiß erwartet haben. Es handelt sich hier zwar nicht um eine Umsetzung des Marvel Cinematic Universe (MCU), doch der Einfluss des Filmuniversums schwingt an vielen Stellen mit. Leider merkt man deutlich, dass das Management die wichtigsten Designentscheidungen vorgegeben hat und nicht der Entwickler Crystal Dynamics („Shadow of the Tomb Raider“).

Das Erste, was man nach der Installation des Titels sieht, sind entsprechend Hinweise auf die Ingame-Währung, die im PlayStation Store feilgeboten wird. Ja, ich habe das Spiel an der PS4 Pro getestet, aber auch an anderen Plattformen versucht man euch zum Kauf von In-Game-Währung zu locken. Nach allen Regeln der Kunst will man Spieler, die bereits rund 60 Euro in diese Vollversion gesteckt haben, also weiter melken. Ich halte von dieser Geschäftspraxis nichts – denn wie gesagt, merkt man auch „Marvel’s Avengers“ stark an, dass das Gameplay um die Mikrotransaktionen herum gestrickt wurde.

Aber der Reihe nach, denn „Marvel’s Avengers“ beginnt eigentlich vielversprechend: Als Superhelden Fangirl Kamala Khan, später Ms. Marvel, besucht man eine Veranstaltung zum sogenannten A-Day, an dem die Rächer sich ordentlich feiern lassen. Doch eine Attacke auf die Golden Gate Bridge unterbricht die Veranstaltung und Captain America, Iron Man, Hull, Thor und Black Widow müssen einschreiten. Leider können sie eine Tragödie nicht verhindern und die Öffentlichkeit macht die Superhelden für das Desaster verantwortlich. Dieser Konflikt zerreißt die Gruppe auch innerlich, sodass sie auseinandergehen. Nach einem Zeitsprung von fünf Jahren zeichnet sich nun eine Bedrohung ab und die Avengers müssen neu zusammenfinden.

Die Einführung in die Welt der Avengers ist sehr gelungen, denn Kamala Khan ist ein etwas naives aber sympathisches Fangirl, das die Superhelden mit leuchtenden Augen betrachtet – so wie sicherlich auch viele Spieler. Als man dann in der ersten Kampfszene von Kamala zu Thor wechselt, dem Helden, den man eben noch ehrfürchtig mit Komplimenten bedachte, ist das ein gekonnter Story-Moment. Generell ist die Geschichte geschickt erzählt. Inhaltlich ist die Story eigentlich Standard-Comic-Kost, doch die Sprecher, die Regie durch Crystal Dynamics für die unterhaltsamen Cutscenes und die vielen Figuren aus den Comics dürften bei Fans das Herz höher schlagen lassen.

Dazu trägt auch die Technik bei: Speziell die Gesichtsanimationen sind mir in den Cutscenes positiv aufgefallen. Charaktere wirken sehr detailliert, man erkennt sogar Hautunreinheiten und die vielen kleinen Details, etwa Kamalas Avengers-Memorabilia, die sie mit sich herumträgt, sind knackscharf. Da bin ich sehr auf das PS5-Upgrade gespannt. Denn wer sich das Spiel jetzt für PS4 oder Xbox One sichert, erhält später das Next-Generation-Upgrade kostenlos – so solls sein.

Auch an der Performance habe ich nichts auszusetzen: Selbst bei krawalligen Kampfszenen, in denen man auch besonders mächtige Angriffe starten kann, die den Bildschirm z. B. in Thors Fall mit Blitzen füllen, bleiben die 30 fps ungebrochen. An der PS4 Pro lässt sich neben dem 4K-Modus (mit Checkerboarding) auch ein Performance-Modus wählen. Letzterer arbeitet aber mit einer unkonstanten, offenen Framerate, was auch zu Stottern führen kann – empfehle ich daher nicht.

Auch die Soundkulisse gefällt: Im englischsprachigen Originalton sind viele bekannte Sprecher wie z. B. Nolan North als Tony Stark / Iron Man, Troy Baker als Bruce Banner und Laura Bailey als Black Widow mit von der Partie. Die Soundeffekte sind dabei klar von den Kinofilmen inspiriert, Thors wuchtiger Hammer saust etwa mit den gleichen, tiefen Metallklängen durch die Lüfte, wie im MCU. Da konnte ich mir beim Einsatz meiner Soundbar ein Grinsen nicht verkneifen. Die bombastische Synthie-Musik erinnert ebenfalls ans MCU, sodass man an manchen Stellen fast vergisst, dass es sich hier eben nicht um eine Umsetzung des Filmuniversums handelt.

Bewusst wird einem das eben an anderer Stelle und da komme ich nun zum großen Makel: dem Gameplay. Wie gesagt, beginnt das Spiel fulminant: Man schlüpft zunächst in die Rolle von Kamala Khan und anschließend wechselnd in die Rolle der Avengers, welche die Tragödie auf der Golden Gate Bridge zu verhindern suchen. Hier zockt man sich durch lineare Abschnitte, lernt die Fähigkeiten der einzelnen Helden kennen und erlebt eine Mischung aus Quick-Time-Events, bombastischen, geskripteten Szenen und knalliger Action.

Wenig später öffnet sich das Spiel dann. Was normalerweise erst richtig Laune macht, führt aber in „Marvel’s Avengers“  zum Gegenteil. Über ein War Table wählt ihr verschiedene Missionen aus, denn es gilt Ressourcen zu sammeln, um nach und nach das nächste „vollwertige“ Singleplayer-Level zu bestreiten, das die Story wirklich vorantreibt. Alles dazwischen ist aber langweiliges Füllmaterial voller Grinding. Zumal die offenen Areale, die man besucht, extrem beliebig wirken – und als würden sie sich besser im Multiplayer-Abschnitt machen.

Letzterer ist übrigens als eine Art Fortsetzung der Singleplayer-Kampagne angelegt. Wollt ihr die Multiplayer-Komponente direkt starten, werdet ihr folgerichtig auch direkt vor Spoilern gewarnt. So wie es hier gelöst wurde, wird aber niemand so richtig glücklich: Singleplayer erhalten eine rund 10-stündige Kampagne, die sich wie die Hälfte von etwas Größerem anfühlt und mit Füllmaterial gestreckt wurde. Multiplayer hingegen müssen sich erst mit dem Singleplayer beschäftigen, um Charaktere freizuschalten und ein Gefühl für die Welt zu bekommen.

Im Singleplayer ist das Loot-System zudem recht banal – man gabelt zwar ständig neue Ausrüstung auf, die bessert dann eben marginal eine Statistik auf. Das lösen selbst aus meiner Sicht ebenfalls dröge Grinding-Abenteuer wie „Destiny 2“ oder „The Division 2“ noch besser. Das gilt auch für das Level-System: Ihr könnt eure Helden bis auf Level 50 aufpowern und euch in immensen Fertigkeitsbäumen austoben. Im Rahmen der Singleplayer-Kampagne kommt ihr mit viel Hampelei maximal bis Level 10. Crystal Dynamics hat hier also klar den Fokus auf den Multiplayer-Modus gelegt.

Mich hat es da auch null gereizt Kostüme und Zubehör freizuschalten, denn endloses Grinding und Monotonie sind da die Stichwörter. Je mehr Zeit man also mit „Marvel’s Avengers“ verbringt, desto mehr bricht die anfangs glitzernde Fassade zusammen. Ich habe das Gefühl, dass Crystal Dynamics anfangs ein handlungsgetriebenes Singleplayer-Game entwickeln wollte, etwas im Stil seiner „Tomb Raider“-Titel. Doch das Management von Square-Enix forderte ein „Destiny“-Imitat und herausgekommen ist ein konfuser Hybrid, der keiner Seite ganz gerecht wird. Großer Fehler etwa: Die Loot, mit der man seine Helden ausrüstet, hat optisch keinen Effekt. Das gilt nur für komplette Skins. So wird die Ausrüstung erst recht zu reiner Zahlenspielerei.

Trotzdem macht „Marvel’s Avengers“ in seinen besten Momenten, also den „echten“ Story-Missionen, jede Menge Laune. Schade ist eben, dass die Singleplayer-Kampagne mit Füllmaterial gestreckt wurde und die Multiplayer-Komponente aus meiner Sicht eine Art „Destiny“ für Arme ist. Besser wäre es gewesen, nicht so sehr auf Mikrotransaktionen und dauerhafte Spielerbindung zu schielen und lieber ein knackiges Singleplayer-Spiel herauszuhauen – selbst EA hat ja gezeigt, dass das mit einer großen Lizenz möglich ist. Siehe das tolle „Star Wars Jedi: Fallen Order„.

Comicfans kann ich „Marvel’s Avengers“ dennoch empfehlen, denn wer auf die Comics oder auch nur Filme steht, erlebt genügend spektakuläre Story-Momente, welche die Schwächen mindestens zeitweise überdecken. Wer aber einfach nur nach einem guten Game sucht, um die Wartezeit auf die PS5 und Xbox Series X zu überbrücken, erhält aktuell auch ausreichend abweichende Alternativen mit weniger Monotonie.

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Hauptberuflich hilfsbereiter Technik-, Games- und Serien-Geek. Nebenbei Doc in Medienpädagogik und Möchtegern-Schriftsteller. Hofft heimlich eines Tages als Ghostbuster sein Geld zu verdienen oder zumindest das erste Proton Pack der Welt zu testen. Mit geheimniskrämerischem Konto auch bei Facebook zu finden.

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4 Kommentare

  1. Guter Review. Danke. Werde es mir nicht zulegen, da ich Mikrotransaktion+Vollpreis für eine Frechheit halt. Schade.

    • André Westphal says:

      Das ist für mich auch hier der größte Kritikpunkt, weil das Spiel sehr um das Grinding herum gestrickt wurde – das merkt man selbst im Singleplayer. Da bewegen sich Ubisoft und Co. ja glücklicherweise wieder etwas von weg, nachdem unter anderem „Ghost Recon Breakpoint“ deswegen so verrissen wurde.

      „Avengers“ ist trotzdem ein solides Spiel, in einigen Momenten für Comicfans sogar echt toll. Aber dieses „Destiny“-Gameplay mit Fokus auf Grinding und Loot ist auch nicht meine persönliche Vorliebe.

  2. Jürgen Schulze says:

    Danke für die Besprechung.
    Auch für mich sind Pay-to-Play-Spiele uninteressant. Und als Mensch mit Privatleben in real life hat mich Online-Gaming nie gejuckt.
    Ich werde warten, bis es den Datenträger bei ebay für 30 Euro gibt. Ich schätze, das wird nicht lange dauern.

  3. Guter test der einen guten Eindruck vermittelt.

    Ich werde wegen dem grinding Elementen nicht zuschlagen.

    Ist ja leider Nen Trend geworden Spiele so künstlich in die Länge zu ziehen.
    50 Stunden Spielzeit. Und 45 Stunden davon musst man die Karte rauf und runter laufen

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