„Yakuza 6: The Song of Life“ angespielt: Von japanischen Gangstern und Katzen-Cafés
Seit Kindertagen bin ich Gamer: Es ging unter anderem am Atari 2600 und dem C-64 los, nahm seinen Weg über Game Boy, Super Nintendo und die erste PlayStation bis hin zu einer Phase, in der ich exklusiv dem PC Master Race angehörte. Heute spiele ich nach einem Intermezzo mit der Nintendo Switch an sowohl der Microsoft Xbox One X als auch der Sony PlayStation 4 Pro. Wie das aber so ist, wenn man älter wird: Konnte ich als Teenie noch die Nächte durchzocken, kommt es heute aufgrund der Verpflichtungen des Erwachsenendaseins leider eher selten dazu. Ein Spiel hat es aber jüngst wieder geschafft, dass ich grinsend vorm Fernseher gesessen und die Zeit komplett vergessen habe: „Yakuza 6: The Song of Life“.
Wer schon länger im Blog mitliest, hat vermutlich bemerkt, dass ich schräge japanische Titel wie etwa „Persona 5“ besonders schätze. Auch die Reihe „Yakuza“ war im Blog bereits ein Thema: „Yakuza Kiwami“ hat mir super gefallen und das noch bessere „Yakuza Zero“ schaffte es im Frühjahr 2017 auf Platz 1 meiner damaligen Lieblingsspiele. Entsprechend hoch waren meine Erwartungen an „Yakuza 6: The Song of Life“. Bedenkt, dass ich bei dieser Serie übrigens etwas voreingenommen bin. Ich begleite den Protagonisten Kazuma Kiryu seit seinem PS3-Debüt, also „Yakuza 3“. Entsprechend tief stecke ich in der Reihe drin.
„Yakuza 6: The Song of Life“ setzt dabei die Tradition der Serie fort: In einer halboffenen Spielwelt, die sich in zwei separate Regionen aufspaltet, das urbane Kamurocho als fiktivem Stadtteil Tokyos sowie einen an der Küste gelegenen verträumten Ort als Teil Hiroshimas. Erneut stellt das Game dabei eine mit ausladenden Cutscenes vollgepackte Crime-Story absurden Nebenquests gegenüber. „Ausladend“ ist hier wörtlich gemeint: Direkt zu Anfang sitzt man etwa fast eine halbe Stunde passiv vor dem Bildschirm, um der Einführung in die Geschichte zu folgen.
Allerdings ist das bei „Yakuza 6: The Song of Life“ niemals störend. Denn im Gegensatz zu den meisten anderen Spielen kann das packende Crime-Drama mühelos mit jeder Fernsehserie und jedem Film mithalten. Wer also auf Gangster-Geschichten rund um Ehre, Tradition, brutale Intrigen und komplexe Charakterbeziehungen steht, bekommt hier erstklassige Kost geboten. Im Gegensatz zur ernsten Hauptgeschichte stehen erneut die aberwitzigen Nebenaufgaben. Mal verdingt sich Kiryu etwa als Maskottchen, um Kinder zu unterhalten, hilft einer Schülerin, die angeblich durch die Zeit springen kann oder besorgt für ein trauriges kleines Mädchen ausverkaufte Fanartikel von japanischen Idols.
Diese Nebenaufgaben sind schon immer die heimlichen Highlights der „Yakuza“-Reihe gewesen. Mal sind diese „Substories“ einfach nur absurd-beknackt, manchmal geben sie sich aber auch überraschend emotional oder gar kulturkritisch. Im Idealfall kommt alles zusammen. Als Kiryu etwa mit einer digitalen Assistentin namens Hiji Wortgefechte ausführen musste, weil die KI ein Eigenleben entwickelte, war ich mehr als amüsiert – und genoss zugleich den Seitenhieb auf die Tech-Industrie. Dabei gibt es auch wieder allerlei Minispiele: Dart, Billard, Mahjong oder sogar komplexe Spiele im Spiel wie der Aufbau eines eigenen Clans mit entsprechenden Kämpfen gegen andere Gangsterbanden. Allein dort kann man Stunde um Stunde investieren.
Auch die Charakterentwicklung hat Sega nochmals generalüberholt. So ersetzen nach Kategorien geordnete Erfahrungspunkte die einheitlichen Aufwertungspunkte vergangener Teile. Etwa gibt es gesondert Punkte, um etwa den Körper oder die Social Skills von Kiryu aufzupeppen. Die Punkte erhaltet ihr wie gehabt durch Kämpfe, das Erfüllen von Nebenaufgaben oder auch durch das Verzehren von Mahlzeiten. Essen hat also in „Yakuza 6: The Song of Life“ an Bedeutung gewonnen. Zumal es Boni gibt, wenn ihr nicht einfach alles kreuz und quer reindrescht, sondern ein realistisches Menü zusammenstellt – etwa einen Burger mit Getränk und Salat kombiniert.
Die Kämpfe sind dabei übrigens leider eher ein Rückschritt gegenüber „Yakuza Zero“ oder „Yakuza Kiwami“: So fallen die unterschiedlichen Kampfstile weg. Kiryu haut also nur noch auf eine Weise rein und die Scharmützel sind anspruchsloser geworden als in den beiden direkten Vorgängern. Spaß machen die viel auf Button-Mashing setzenden Gefechte aber immer noch. Zumal die Prügeleien nun übergangslos bei der Erkundung der Stadt beginnen und nicht erst durch einen Bildschirmwechsel getrennt werden. Das gilt übrigens auch für die zahlreichen Shops und Restaurants: Musste man sich in bisherigen Serienteilen immer auf eine Unterbrechung durch einen Ladebildschirm einstellen, so tritt Kiryu nun direkt von der Straße in Gebäude ein – das trägt nochmals zur Immersion bei.
Generell wurde die Technik extrem verbessert: „Yakuza 6: The Song of Life“ erschien in Japan zwar bereits Ende 2016, sieht aber immer noch über weite Strecken großartig aus. Das wundert nicht, denn es handelt sich um das erste „Yakuza“ das direkt für die PS4 entwickelt wurde und auch die PS4 Pro mit höheren Auflösungen unterstützt.Wer also zur Einstimmung eine Runde „Yakuza Kiwami“ spielt und dann zu „Yakuza 6: The Song of Life“ wechselt, dürfte große Augen machen. Speziell die Charakteranimationen wirken viel flüssiger und natürlicher. Aber auch die Straßen Kamurochos sind mit deutlich mehr Details befüllt. Schaltet mal in die Egoperspektive und seht euch etwa in einem Supermarkt im Spiel um. Allein in den zum Teil mit echten Produkten befüllten Regalen steckt enorme Liebe zum Detail.
Die Grafikpracht hat aber auch Schattenseiten: Scharfen Texturen, hoch detaillierten Charakteren und natürlichen Lichtstimmungen sowie vielen Physikeffekten stehen häufiges Kantenflimmern und eine halbierte Framerate gegenüber. Lief „Yakuza Zero“ noch mit 60 fps, so begnügt sich das wesentlich prachtvoller aussehende „Yakuza 6: The Song of Life“ nämlich nun mit 30 fps. Speziell in den Kämpfen macht sich das natürlich bemerkbar, welche sich nun eben nicht mehr so flüssig und hektisch anfühlen wie zuvor. Allerdings benötigte diese Spielreihe dringend eine visuelle Frischzellenkur, so dass ich persönlich mit diesem Trade-off leben kann.
Es fällt dabei schwer „Yakuza 6: The Song of Life“ zu beschreiben, denn wie alle Teile dieser Spielereihe, so ist auch der neueste Ableger einfach mehr als die Summe seiner Teile. Man kann sich schwer vorstellen, wie es funktionieren soll, dass Yakuza-Legende Kazuma Kiryu einerseits brutal Rivalen vermöbelt und sich durch die Intrigenspielchen anderer Gangster manövriert, um Minuten später mit Hostessen zu flirten, entlaufene Katzen für ein Café aufzustöbern oder beim Karaoke Popsongs zu schmettern. Doch gerade der Kontrast zwischen der dramatischen Hauptgeschichte und den absurden Nebenaufgaben bzw. Minispielen macht auch „Yakuza 6: The Song of Life“ so einzigartig.
Technisch ist das Game dabei eben ein enormer Sprung gegenüber „Yakuza Zero“. Auch die Geschichte, wohl die letzte mit Kazuma Kiryu als Hauptcharakter, empfinde ich als noch etwas packender und persönlicher. Was das Gameplay betrifft, so war „Yakuza Zero“ vielleicht durch das komplexere Kampfsystem einen Tick stärker. Zumal das Management eines eigenen Cabaret Clubs sowie das Führen eines Immobilienbüros in „Yakuza Zero“ mir ebenfalls mehr Spaß gemacht haben als etwa das Baseball-Management und die Clan-Kriege in „Yakuza 6: The Song of Life“.
Allerdings riss mich auch „Yakuza 6: The Song of Life“ sofort in seinen Sog: Nur noch diese eine Aufgabe abschließen… Nur noch schnell im Shop neuen Proviant kaufen… Nur noch schnell dieses eine Troublr-Ereignis aus der App untersuchen. Denn ja, Kiryu läuft mit seinem Smartphone umher und kann darüber nun nicht nur immer und überall speichern, sondern auch zu plötzlichen Verbrechen und auftretenden Nebenquests auf dem neuesten Stand bleiben.
Für Neueinsteiger ist „Yakuza 6: The Song of Life“ zwar nicht ganz so gut geeignet wie „Yakuza Zero“, allerdings könnt ihr euch über das Hauptmenü einzelne Story-Zusammenfassungen zu den bisherigen Serienteilen vorführen lassen. Diese Zusammenfassungen bestehen aus Screenshots und gerafften Texten, um euch also auf den aktuellen Stand zu bringen. Mehr Freude wird man aber haben, wenn man die Charaktere schon in den bisherigen Spielen liebgewonnen hat.
Ich kann „Yakuza 6: The Song of Life“ nur wärmstens empfehlen, denn es gibt weiterhin keine wirklich vergleichbare Spielereihe auf dem Markt. Die Story ist einfach nur fantastisch, die Charaktere stehen den besten TV-Dramen in nichts nach und dieses Mal beeindruckt auch die Technik. Das Gameplay könnte mehr Tiefe haben, bietet aber durch die vielen Nebentätigkeiten reichlich Abwechslung. Zumal man hier mit allem drum und dran gut und gerne 50 Stunden in das Spiel pumpen kann – und permanent super unterhalten wird.
Zu bedenken: „Yakuza 6: The Song of Life“ bietet nur eine japanische Synchronisation mit englischsprachigen Untertiteln. Es handelt sich weiterhin um eine Nischen-Serie, so dass man froh sein kann, dass das Game uns im Westen überhaupt erreicht hat. Das sollte euch aber wirklich nicht abschrecken, denn das Spiel bietet genau die Eigenständigkeit und Liebe zum Detail, die ich persönlich bei manch anderem Triple-A-Titel vermisse. Falls ihr euch also eine Mischung aus Prügelspiel, storylastigem RPG und „Grand Theft Auto“ in japanischem Setting vorstellen könnt – dann gönnt euch „Yakuza 6: The Song of Life“. Ich wünsche diesem tollen Game jedenfalls wirklich Erfolg am Markt, damit auch in unseren Breitengraden mögliche Fortsetzungen erscheinen.
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