Tennis World Tour 2 angespielt – Die verpasste Chance aka „Alter Wein in nicht ganz so neuen Schläuchen“
Tennis gehört neben Fußball zu meinem Lieblingssportarten und ich verfolge die Szene, seitdem ich ein Kind bin – und glaubt mir, das ist schon lange her. Zwischenzeitlich habe ich mich aktiv im Verein bemüht. Doch hier in unserer Gegend ist das Ganze leider nicht so angesagt und für das Gros der Gesellschaft auch einfach zu kostenintensiv. Da müsste man schon in der nächsten Großstadt wie Dresden wohnen, um ambitionierter zu Werke zu gehen.
Jedenfalls bin ich neben Schauen und aktiv Spielen auch gern auf dem virtuellen Platz unterwegs, habe mit Begeisterung sowohl Simulation (Top Spin) als auch Arcade (SEGA Virtua Tennis) gezockt. Ich kann beiden Welten etwas abgewinnen und gerade Virtua Tennis war für Zwischendurch und mal mit Freunden daddeln echt der Hammer. Das bisher meiner Meinung nach beste Spiel war Top Spin 4, entwickelt von 2k Czech und nun auch schon erstaunliche neun Jahre alt. Ich habe es gemocht, weil es eine wirklich gute Simulation war und man auch anspruchsvoll zocken konnte.
Seitdem ist das Tennis-Genre in der Spiele-Branche ein bisschen vernachlässigt worden und es hat sich auch keiner so recht angeschickt, mal einen richtigen Kracher aus dem Boden zu stampfen. Ich habe immer gehofft, das EA hier nach Grand Slam Tennis 2 2012 nochmal was bringen würde, leider Fehlanzeige. Vor ein paar Tagen kam nun Tennis World Tour 2 auf den Markt und ich dachte mir: „Da wirfst du doch mal einen Blick hinein“. In der Zwischenzeit konnte ich mir ein ausgeprägtes Bild machen und dieses möchte ich euch schildern.
Die Vorfreude ist groß
Tennis World Tour 2 kommt von den Entwicklern Big Ant und wird über Nacon vermarktet. Bereits das Cover lässt erste Hoffnung aufkeimen, denn da sind schon mal zwei Tennisgrößen abgebildet – Federer und Nadal. Wer sich im Tennis-Spielgeschehen nicht auskennt: Die Rechteverteilung ist dort etwas anders. In der Fußballszene halten die Verbände teilweise die Rechte an den Spielern. Deswegen kann EA mit FIFA auch so viele Ligen und Spieler lizensieren. Wenn ich mich recht entsinne, ist das im Tennis anders. Da hat jeder Spieler die eigene Hoheit darüber, in welchem Spiel er gern auftauchen möchte. Das führt dazu, dass es diverse Spiele gibt, in denen Nadal zwar da ist, aber Federer nicht – etc., etc. Novak Djokovic ist beispielsweise selten dabei, fehlt auch in Tennis World Tour 2. Dafür hat man in diesem Spiel eine hohe Anzahl an Tennisspielern und -spielerinnen mit an Bord, was erfreulich ist.
Aber kommen wir erst zu den Spiel-Modi, denn hier sind die üblichen mit an Bord. Man kann ein einfaches Spiel gegen einen Freund lokal oder online spielen – auch im Doppel -, kann sich in Ranglisten-Matches die Filzkugel um die Ohren hauen, einen eigenen Spieler erstellen und diesen in dem Karriere-Modus entwickeln. Ich werde mich auf den Karriere-Modus und das eigentliche Spiel-Geschehen konzentrieren, denn ansonsten findet sich hier nichts großartig Neues zu vorhanden Spielen.
Der Karriere-Modus – Musste schnell gehen
Neben dem klassischen „Spieler auswählen und einfach gegen einen Freund antreten“, ist die eigentliche Motivation eines solchen Spieles ja, einen eigenen Spieler zu erstellen und diesen durch die Karriere zu treiben. Und da geht es bei der Spielererstellung schon los. Nachdem ihr den Namen festgelegt habt und Statur, ein- oder beidhändige Rückhand, Spielstil, Stöhnen und Co. eingestellt habt, könnt ihr noch etwas am Gesicht und dem Aussehen feilen. Die Auswahl der Gesichter ist hier wirklich eingeschränkt und das Gebotene hässlich.
Natürlich ist das persönlicher Geschmack, aber offensichtlich war das Gesicht-Modeling nicht die Stärke der Grafiker-Fraktion. Auch die Frisuren lassen viele Wünsche offen. Haar-Helme kann man das wohl nennen, denn oft fehlt die Struktur oder es wurde lieblos aus Polygonen. zusammengetackert. Selbst Top Spin 4 hatte schon Haar-Animationen, die sucht man hier vergeblich. Wer noch nicht im Spiel war, sieht hier schon, dass man, was die Grafik angeht, nicht im Current-Gen-Zeitalter unterwegs ist.
Wenn euch die Gesichter nicht gefallen, könnt ihr noch ein wenig nachbessern. Wenn ihr nun denkt, ihr könnt Augenabstände, -Höhe etc. festlegen – Fehlanzeige. Auch ist es nicht möglich, eurem Avatar einen Bart zu verpassen, da muss man sich eben was aus dem Standard aussuchen. Irgendwie – meh.
Die fehlenden Möglichkeiten schlagen sich dann auch bei den generierten Spielern nieder, denen ihr während eurer Karriere begegnet. Oft ist es so, dass euer gegenüber sich vielleicht nur in der Kleidung von euch unterscheidet. Auch das berühmte Nadal-UOAAHHH nach einem Schlag hört man überraschend oft auch von 0185-Charakteren. Schade eigentlich.
Gleich vorweg: Die fehlende Liebe zum Detail und die offenbar auch nicht vorhandene Begeisterung für diesen Sport zieht sich durch das komplette Spiel. Die Karriere ist komplett lieblos gebaut. Von Woche zu Woche könnt ihr zwei Turniere auswählen, eine Exhibition bestreiten, ein Training absolvieren, bei dem eure Skills beim Timing etc. verbessert werden, oder einen Trainer / Agenten auswählen, der euch ein paar Boni für Erfahrung oder eingenommenes Geld gibt.
Jedes Turnier besteht dabei aus dem üblichen Modus, bei dem ihr in ein Tableau einsortiert werdet und euch dann zum Finale vorarbeitet. Nach jedem Spiel erhaltet ihr Erfahrungspunkte, die euch nach einem Level-Up einen Fähigkeiten-Punkt spendieren. Dieser kann bei Angriff, Verteidigung oder Genauigkeit eingetauscht werden und verbessert mehrere Attribute wie Vorhand, Rückhand, Genauigkeit, Kraft, Ausdauer etc.
Dabei lässt sich sagen, dass es Äonen dauert, bis man genügend Erfahrungspunkte zusammenhat, um gegen einen Nadal oder ähnliche Kaliber anzutreten und dabei nicht im Modus „Sehr Leicht“ unterwegs zu sein. Hier hätte man etwas mehr Entwicklungsgeschwindigkeit anlegen können. Auch nach zwei Saisons bin ich erst bei Level 11 und da ist an Konkurrenzfähigkeit gegenüber genannten Spielern noch nicht zu denken.
Schafft man es dennoch, gewinnt man einen Pokal – horray. Auch hier gibt es lieblos zusammengebaute Töpfe, die bei jedem Turnier gleich aussehen. Egal ob Grand Slam oder 1-Sterne-Turnier, ihr kriegt denselben Eimer in die Hand gedrückt. Beim gewillten Tennis-Fan ist dann schnell die Luft raus. Spieler voran bringen, Trophäen sammeln. Diese kann man sich übrigens auch nicht in einer Trophäen-Sammlung ansehen. Warum auch, sieht eh alles gleich aus.
Atmosphäre? Ich suche noch…
Lieblosigkeit auch auf dem Platz. Die Geräuschkulisse während des Spiels wird durch das Stöhnen der Spieler oder Spielerinnen bestimmt. Klar – Tennis ist ein leiser Sport. ABER: Warum ist der Entwickler nicht mal auf die Idee gekommen, mal einen Kommentator einzusetzen? Muss ja keine Größe aus der Branche sein, aber wenigstens etwas Untermalung tut einem Sportspiel, das am Ende ja auch eine Art Fernseh-Übertragung simuliert, schon gut. EA hat das mit Grand Slam Tennis beispielsweise vorgemacht. Hervorragende Einleitungs-, Zwischen- und Endsequenzen untermalt von einem Kommentar und die Liebe zum Detail haben dort wirklich für viel Atmosphäre gesorgt. Die gibts hier nicht. Auch keine Pressekonferenzen, Zeitungsartikel oder so Einspieler dazwischen. Schade.
Timing ist alles
Sieht man von der nicht vorhanden Liebe neben dem Platz ab, so ist es zumindest auf dem Platz halbwegs stimmig. Tennis World Tour 2 kommt ohne zusätzliche Steuerungsmethoden über den rechten Stick aus. Jeder Schlag muss sauber getimt werden und der Abstand zum Ball muss stimmen. Erst dann fliegt der kleine gelbe Ball in die Richtung, die ihr für ihn vorgesehen habt. Je länger man die Taste vorher gedrückt hält, desto härter der Schlag. Umso wichtiger ist dann aber auch das Timing beim Loslassen, sonst fliegt das Ding ins Nirwana.
Ihr könnt aber auch einen kontrollierten und präzisen Schlag ausführen, indem ihr einfach zum richtigen Zeitpunkt antippt. Zur Verfügung stehen euch die bereits aus Top Spin bekannten Schlagarten: Flat, Top Spin, Slice, Lob oder Stop. Ihr könnt auch per Button einen Inside Out schlagen, obwohl das nicht immer gut funktioniert.
Der Aufschlag muss ebenfalls getimt werden. Dabei drückt ihr den Knopf der Wahl und lasst zum richtigen Zeitpunkt wieder los. Wo ins Feld der Ball aber hingeht, bestimmt ihr über den Stick. Dabei habt ihr jedoch keine Visualisierungshilfe, wo das ungefähr sein wird. Generell finde ich das Spielsystem sehr gut, aber auch sehr anspruchsvoll. Wer hier einfach mal kurz eine Runde daddeln will, wird schnell frustriert sein. Denn bis man sich an das Timing gewöhnt hat, vergeht eine ganze Weile.
Was für mich gar nicht geht, ist das Karten-System, was sich die Entwickler ausgedacht habe. Jedem Spieler stehen fünf Kartenfelder zur Verfügung. Gegen etwas virtuelles Geld könnt ihr im Spiel Karten kaufen, die eure Schläge für einen Moment verbessern, für mehr Ausdauer oder weniger Ausdauerverbrauch sorgen und vieles mehr. Dabei fällt es dann im Spiel aber nicht wirklich ins Gewicht, ob ihr diese Karten überhaupt einsetzt. Ich lasse das grundsätzlich weg. Für mich mehr Störfaktor und es wirkt in einer Simulation überflüssig. Ein Arcade-Kracher ist das Spiel nun mal nicht, warum also dieses System? Nicht Fisch, nicht Fleisch.
Sieht gut aus?! Naja, nicht so richtig….
Kommen wir noch zur Ingame-Grafik und den Animationen. Generell kann man über die Animationen nicht wirklich etwas Schlechtes sagen, doch wann welche Animation gespielt wird, ist entscheidend. Ich habe beispielsweise noch keinen korrekten Rückhand-Slice gesehen. Der Spieler schlägt dann einfach einen Top Spin oder Flat, der Ball fliegt trotzdem wie beim Slice. Mein Spieler ist beispielsweise auch mit einer einhändigen Rückhand ausgestattet, spielt aber manchmal einen Schlag mit beiden Händen. But why? Wir sind ja nicht in der Hobby-Kreisliga. Ballkinder und Schiri bewegen sich nicht, gucken auch nicht mal woanders hin.
Bezüglich Grafik fehlt dem Spiel die Konsistenz. Während die selbst erstellten Spieler durch die Bank weg bescheiden aussehen, sind einige Models der lizensierten SpielerInnen wirklich gut, einige aber auch komplett daneben. Die Texturen sind schwammig und generell setzt man sich, was die Grafikleistung betrifft, kaum von Top Spin 4 oder Grand Slam Tennis 2 ab. Das sind aber Spiele von vor acht oder neun Jahren. Auch hier also Tristesse.
Tennis World Tour 2 – Wer den Sport liebt, lässt es lieber…
Mir blutet seit dem Tod der Top-Spin-Reihe das Herz und auch Tennis World Tour 2 kann da keine Besserung hervorrufen. Zurück bleibt ein bitterer Geschmack und die Gewissheit, dass viel Geld für Rechte ausgegeben wurde, dann aber die Kohle für die Entwicklung fehlte. Man kann ja nicht mal sagen, dass es sich um ein verbessertes Top Spin 4 handelt, denn auch das ist nicht der Fall. Dem Spiel fehlt es an vielem, vor allem wenn man in der Vergangenheit gern Tennis auf Konsole oder PC gespielt hat. Wer das nicht hat und ein Spiel zum Tennis-Zocken sucht, das für Zwischendurch ganz nützlich ist, wird hier durch die lange Eingewöhnungszeit keine Freude haben. Für wen ist es also? Der heißblütige Fan, der zudem noch hartnäckig ist, wird ein paar schöne Stunden haben. Dazu wartet ihr aber besser noch, bis das Teil für einen Zwanziger zu haben ist.
Um es kurz zu sagen:
Spiele-Enttäuschung des Jahres für mich: @TennisTheGame Herrje, Top Spin 4 war besser.
— Olli (@Olli0103) September 29, 2020
- Tennis World Tour 2
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Schade. Ich würde mich so sehr mal wieder über ein gutes Tennis Spiel freuen.
Der erste Teil wurde aufgrund der nahenden French Open sehr schnell veröffentlicht – lassen wir das als Ausrede mal gelten.
Warum nun der 2. Teil auch wieder nichts geworden ist, zeigt dann wohl einfach das das Studio nicht so talentiert ist.
Es ist einfach so bitter. Ich würde mich so sehr über ein Current Gen Top Spin freuen. Tennis eignet sich so perfekt fürs Gaming aber alles was seit Top Spin 4 erschienen ist, ist einfach Grütze. Und mittlerweile hab ich die Hoffnung ehrlich gesagt auch aufgegeben.