Gastbeitrag: Ein Journalist „in the cloud“ Teil 2
Wie zuverlässig und wie sicher ist das Arbeiten „in the cloud“? Der Journalist Jürg Vollmer schreibt für das schweizerische Pressebüro maiak.info Hintergrundberichte über Russland, Belarus und die Ukraine. Sein Equipment — Hardware und Software — ist die Summe vieler Erfahrungen im professionellen Einsatz unter oft schwierigen Bedingungen.
Im ersten Teil berichtete Jürg über das Arbeiten und über die Hardware, der zweite Teil befasst sich zusätzlich mit der Software.
SOFTWARE, BROWSER ETC.
Meine „Schaltzentrale“ für den ganzen Input und Output von Informationen ist Google. Der Google Chrome Browser synchronisiert automatisch zwischen meinen Macs, von den Erweiterungen bis zu den Lesezeichen. Synchronisiert werden auch der Google Kalender, Google Docs und der Google Reader.
Googlemail (und MailStore Home)
Alle E-Mails von der Domain-eigenen Adresse … @maiak.info werden auf einen Googlemail-Account umgeleitet, zu dem ich von jedem meiner Geräte Zugriff habe, auch vom iPhone. Zur E-Mail-Archivierung und zum Backup nutze ich MailStore Home. Sicher ist sicher.
Google Reader (mit Reeder)
Die RSS-Feeds lese ich auf MacBook Air und iPhone mit dem Reeder (der mit Google Reader synchronisiert) des Schweizer Entwicklers Silvio Rizzi. Bei 130 RSS-Abonnements kommt da einiges zusammen: Von den Meldungen der staatlichen russischen Nachrichtenagentur RIA Novosti über die Websites/Weblogs von Oppositionspolitikern und Nichtregierungsorganisationen bis zur Russland-Berichterstattung deutschsprachiger und angelsächsischer Medien.
Google Alerts
Im Reeder lese ich auch meine 50 Google Alerts. Damit suche ich gezielt zu von mir definierten Themen Online-Nachrichtenbeiträge, wobei neben einigen Dauerbrennern andere Themen häufig wechseln.
Auf Twitter folge ich gezielt 270 Informanten, von denen die meisten Auslandsredakteure, Moskau-Korrespondenten, Politiker, Historiker oder Slawisten sind. Entsprechend ist der Input meiner Timeline stark fokussiert auf Russland, Belarus und die Ukraine.
Auch meine eigenen (bisher 3500) Tweets als @maiakinfo sind auf diese Länder fokussiert. Ausser meiner Kommunikation mit Carsten Knobloch und einigen anderen Geeks natürlich, schliesslich möchte ich auch technisch up to date bleiben.
Erstklassiger Input über das Web
RSS-Feeds, Google Alerts und Twitter — viele dieser Quellen aus dem Web sind sehr zeitnah und unmittelbar. Tweets und Live-Videos direkt aus Demonstrationen zum Beispiel, sind emotional und deshalb nicht immer zum Nennwert zu nehmen, bieten aber ein gutes Stimmungsbild.
Einen erstklassigen Input ausserhalb der Tagesaktualität von Twitter & Co. bieten die Online-Portale und viele Weblogs im russischsprachigen RuNet. Zudem gibt es in der angelsächsischen Web-Welt eine Reihe erstklassiger Russland-Journalisten, die Twitter und Weblogs aktiv als Plattform für ihre Arbeit nutzen.
Evernote
Den ganzen Informations-Input „verarbeite“ ich fortwährend. Unterwegs gibt es immer wieder Wartezeiten, die ich so sinnvoll überbrücken kann. Relevante Informationen selektioniere und speichere ich mit dem Web-Clipper von Evernote in thematisch geordnete Notizbücher. Jede Notiz verschlagworte ich zusätzlich mit Tags, wobei der Begriff Notiz irreführend ist, das können mitunter ganze Diplomarbeiten sein.
Evernote synchronisiert automatisch zwischen der Web-Plattform, meinen verschiedenen Macs und dem iPhone. Evernote speichert meine Notizen also auch auf meiner Festplatte, so dass sie nicht verschwinden, selbst wenn das kalifornische Unternehmen für immer den Stecker rauszieht.
Evernote ist der einzige Dienst in the cloud, der mir trotzdem Sorgenfalten beschert: Ich nutze Evernote seit Herbst 2008 und noch habe ich keine Möglichkeit gefunden, das komplette Archiv mit meinen unzähligen Notizen, allen Notizbüchern und Tags auf eine andere Plattform oder in irgendeiner anderen Art zu sichern. Umgekehrt ist Evernote ein geniales Recherche-Tool, ohne das ich mir meine Arbeit gar nicht mehr vorstellen kann.
Wenn ich einen Hintergrundbericht schreibe, erstelle ich mir zuerst in Evernote ein neues Notizbuch zum Thema und darin einen Arbeitsplan (mit Checkbox). Dann suche ich über die Schlagworte schon früher angelegte Evernote–Notizen zu diesem Thema (Medienberichte und Weblog-Postings aus dem Reeder etc.) und speichere diese im neuen Notizbuch.
In der Literatur-Suchmaschine Worldcat suche ich nach einschlägiger Literatur, die ich mit ISBN-Nummer über den Web-Clipper in das entsprechende Notizbuch kopiere, verschlagworte und wenn sinnvoll (quer-)lese.
Danach suche ich einfach alles zum Thema: Info-Grafiken, Fotos (auch von Whiteboards, Evernote hat eine Text-in-Bild-Erkennung!), Audio-Files, PDF (z.B. von Diplomarbeiten), gescannte Handnotizen und Visitenkarten (nach Interviews). Alle diese Informationen kopiere ich in das entsprechende Notizbuch und verschlagworte sie.
Scanner Pro (iPhone-App) und Evernote
Beim Sammeln der Notizen bin ich nicht an den iMac oder das MacBook Air gebunden. Unterwegs fotografiere ich zum Beispiel an Konferenzen mit dem iPhone die Whiteboards und sende die Fotos direkt zu Evernote. Oder ich lese im Zug in einer Fachzeitschrift einen Artikel, den ich mit der iPhone-App Scanner Pro scanne und direkt zu Evernote sende.
Google Docs
In Google Docs erstelle ich ein neues Dokument mit dem Gerüst des Hintergrund-Beitrages, je nachdem chronologisch oder mit einem dramaturgischen Aufbau. Dann werte ich die gesammelten Evernote-Notizen aus und erhalte so das Fundament mit vielen Fakten, aufgrund denen ich mir (wieder in Evernote mit Checkbox) eine Frageliste zusammenstelle.
Diese Frageliste arbeite ich in Informationsgesprächen und Interviews mit Fachleuten Pro und Contra ab, so dass Stockwerk für Stockwerk mein Hintergrundbeitrag entsteht. Parallel dazu versuche ich, einen Interviewtermin mit einer oder mehreren Schlüsselpersonen zu erhalten. Die Zitate aus einem solchen Interview sind dann Fenster und Dach, sie bieten Einblicke und schliessen den Hintergrundbericht ab.
Im Idealfall erhalte ich dabei sehr prägnante Zitate, wie vom russischen Vize-Ministerpräsidenten: „Russland hat zwei Probleme, Dummköpfe und Strassen!“
Manchmal passiert es aber genau umgekehrt. So konnte ich zum Beispiel vor einem Jahr unverhofft ein Hintergrundgespräch mit dem Berater des russischen Präsidenten Dmitri Medwedew führen — und sammle seither in Evernote die Notizen dazu. Spätestens im Frühjahr 2011 ist die Zeit reif für „seinen“ Hintergrundbericht.
Dropbox
Neben der journalistischen Arbeit gibt es jede Menge Bürokratie und andere mehr oder weniger angenehme Nebenbeschäftigungen, deren Dokumente ich in der Dropbox speichere und mit allen Geräten synchronisiere. Von der Korrespondenz über Rechnungen bis hin zum gescannten Führerschein, Pass, Visa etc. (die ich zusätzlich noch in Evernote gespeichert habe). Auf meinen Macs habe ich gar keine Ordner mehr, alles steckt direkt in der Dropbox, zu der ich von jedem meiner Geräte Zugriff habe, auch vom iPhone.
Wenn ich mich richtig erinnere, war Dropbox im Sommer 2008 der erste Dienst in the cloud, den ich entdeckte. Google ausgenommen, das es ja schon seit (Web-)Jahrhunderten gibt. Zwischenzeitlich synchronisierte ich damit auch mein Fotoarchiv in iPhoto, was sich aber nicht bewährte, weil sich die Geräte
wegen der grossen Datenmenge beinahe zu Tode synchronisierten.
Wie Evernote ist die Dropbox ein geniales Tool, ohne das ich mir meine Arbeit gar nicht mehr vorstellen kann. Beide synchronisieren die Daten automatisch zwischen der Web-Plattform, meinen verschiedenen Macs und dem iPhone. Und wenn die Dropbox für immer den Deckel schliesst, kann ich meine
Daten problemlos auslagern.
Fazit
Als Journalist in the cloud habe ich mir nach der heuristischen Methode Versuch und Irrtum ein Equipment zusammengestellt, das meine wichtigsten Ansprüche erfüllt: Kompakt, zuverlässig und sicher muss mein Arbeitsgerät sein. Dabei haben mir auch Geeks wie Carsten Knobloch geholfen, die unermüdlich neue Tools entdecken.
Die Liste der von mir verwendeten Hardware und Software inklusive Browser und browserbasierter Software ist natürlich nicht sakrosankt. So kann es durchaus sein, dass ich bestehende Geräte und Dienste durch neue ersetze — oder ganz neue entdecke.
Als Russland-Journalist weiss ich: Nichts ist so, wie es aussieht. Und als Journalist in the cloud habe ich vor allem eines gelernt: Nichts bleibt, wie es ist.
Sehr interessant, vielen Dank. Dass Dropbox und Evernote auch eingesetzt werden, wenn viel mit Handy-Verbindungen gearbeitet wird, finde ich erstaunlich – das spricht ja durchaus für die Qualität dieser Dienste, sonst täte es sich wohl niemand an.
Eine kleine Anmerkung: Beim Einsatz von MailStore Home muss man vorsichtig sein. Die Nutzung ist soweit ich das richtig in der Lzenz lese, nur für rein private Zwecke zulässig.
Hallo
Ich finde dieses „Leben“ und Arbeiten „in the cloud“ toll!
Danke für die vielen nützlichen Tools und Ideen!
Mich würde mal interessieren, über welche Datenvolumina wir bei Ihnen/Dir so reden!?
Da mich bald ne Diplomarbeit erwartet, würde mich auch der Aspekt der „Reibungslosigkeit“ interessieren. Muss man viel konfigurieren, basteln bis irgendwas „smooth“ läuft? Gibt es viele Reibungspunkte?
Gruß Armin
Bei MailStore Home wäre ich wie Nils schon schrieb sehr vorsichtig, da in den Nutzungsbestimmungen § 2 (5) eindeutig steht, daß eine Nutzung der Freeware für geschäftliche Korrespondenz untersagt ist.
Danke für den Tipp mit Mail Store Home … kannte ich noch nicht, aber sowas hab ich grad gesucht.
Insgesamt ein toller Einblick, wie man mit entsprechender Hard- und Software in speziellen Berufszweigen arbeiten kann.
Interessant wären ähnliche Anwendungsberichte von Architekten oder Teamworkern – welches Equipment dort einsetzbar ist. Gerade Teamworking fänd ich mal aus Anwendersicht spannend.
Neben den vielen Bezügen zu und zwischen den einzelnen Tools, liest sich der Beitrag auch sehr spannend (besonders in Kombination mit dem ersten Teil). Vielen Dank also dafür!
Wer einen gmail account mit eigener Domain nutzen möchte kann auch auf google apps (http://www.google.com/apps/intl/de/group/index.html) wechseln (gibt es auch kostenlos). Dann spart man sich das weitergeleite der Emails.
Vielen Dank für diese Beiträge, sehr spannend.
Aber habe ich was übersehen? Sie nutzen nur Apple Hardware (iMac, MacBook Air, iPhone) aber ich finde für MailStoreHome nur eine Windows Version? Erstellen Sie das Backup in einer virtuellem Maschine?
Vielen Dank!
@Nils und @Jan:
Danke für den Hinweis auf die Nutzungsbestimmungen von MailStore Home, das muss ich tatsächlich mal abklären.
@Armin:
Meine Daten-Volumina bei Dropbox und Evernote halten sich in Grenzen, da ich weder Filme noch massenhaft Fotos uploade. Die monatliche Grenze für den Datentransfer von 1GB bei Evernote (45 Dollar/Jahr) habe ich jedenfalls noch nie gestreift. Und auch dem 50 GB Speicher-Maximum beim Dropbox Pro 50-Account (99 Dollar/Jahr) sehe ich gelassen entgegen.
Neben der üblichen Korrespondenz und für Notfälle „hinterlegten“ PDF von Dokumenten wie Führerschein, Pass, Visa, Flucktickets, Hotel-Vouchers etc. sind es vor allem:
– Hintergrundartikel anderer Medien
– eine kleinere Anzahl Fotos für „Sonderfälle“
– Dossiers wie die „Wirtschaftstrends“ der gtai ▸ http://krz.ch/gtaiRUS
– Diplomarbeiten, Dissertationen etc. zu meinem Thema
Sehr oft sind dies txt-Dokumente und PDF, manchmal auch Fotos. Immer öfter nutze ich wie im Text erwähnt die iPhone-App Scanner Pro, mit der ich Zeitungsartikel scanne und direkt zu Evernote sende. Und ich denke, dass ich mit der Zeit noch mehr Möglichkeiten entdecke…
Wie sieht es mit der Verschlüsselung der Daten in der Cloud aus? Die Festplattenverschlüsselung wurde ja beschrieben.
@Jürg
Vielen Dank für die Infos!
Das „Problem“ bei dieser Thematik ist wohl wirklich, alles schön zu trennen, berufliches von privatem.
Die Krux heutzutage ist andererseits das wahnsinnige Datenvolumen, das schon ein Bild mit der Digitalkamera verursacht. Wenn ich da an nen upload von 2-4MB bei meinem tollen t-dsl1000 denke….brrrr.
Gruß Armin
@t-online
vielen lieben Dank!
@Chris:
MailStoreHome habe ich erst kürzlich (übrigens hier) entdeckt und es läuft auf dem PC eines Kollegen im Büro nebenan. Für mich ist es ein letzter „Notnagel“, wenn Google einmal einen „Gedächtnisverlust“ haben sollte. Vielleicht kennt jemand eine adäquate Lösung für den Mac?
@Slash:
Die meisten Inhalte meiner Dropbox sind unverfängliche Zeitschriftenartikel, Diplomarbeiten und Dissertationen, Vereins-Korrespondenz, Scans von Lieferscheinen etc. Wirklich sensible Daten kommen natürlich mit TrueCrypt in die Dropbox.
Können wir dich bewegen, noch einen dritten Teil zu schreiben? 😉
Hallo Jürg,
vielen Dank für den tollen Beitrag, da sind echt gute Infos dabei! Was mich interessieren würde, fällt nochmal in die Kategorie Datenschutz bzw. Backup.
Verwaltest du auch deine Kontakte und Kalender mit Google? Wenn ja, wie sicherst du die?
Da suche ich schon seit Ewigkeiten nach einer Lösung… gerade das sind ja auch recht wichtige Daten. Manueller Export ist möglich, aber nicht gerade eine Traumlösung… Gerade wenn sich der Kalender stündlich ändert.
LG, Max
Wirklich sehr schöner Artikel, vor allem sehr sehr angenehmer Schreibstil 🙂
Sehr guter Beitrag – wie der erste Teil. Ich bin angenehm überrascht. Danke!
Sehr schöner artikel, danke dafür.
Finde es super, dass du dich so aktiv mit dem Thema Cloud befasst hast. Man kann sich damit doch schon jede Menge Arbeit bzw. Zeit sparen und seine Arbeit erleichtern.
Nutze die Google Dienste, Dropbox und auch Evernote selber sehr intensiv.
Wenn du noch einen guten Aufgabenplaner suchst kann ich dir Wunderlist empfehlen. Hatte meine Aufgaben vorhin immer mit Evernote verwaltet, doch mit Wunderlist geht das gleich viel komfortabler.
Danke für die zwei sehr interessanten Artikel.
Ich selber Nutze die Google Dienste, Evernote und Dropbox auch recht gut und freu mich jedes mal über die Bequemlichkeiten die diese ermöglichen!
WTF!
Das würde mich auch „brennend“ interessieren. Erst vor kurzem habe ich den betagten Lotus Organizer 6.0 – lachen verboten 😉 – als Kontaktverwalter durch Google Mail ausgetauscht. Mit Beigeschmack.