„The Outer Worlds“ angespielt: Das bessere „Fallout“

Kürzlich hatte ich ja schon über das neue Rollenspiel „The Outer Worlds“ gebloggt. Meine Hoffnungen für diesen Titel waren seit der ersten Ankündigung enorm: Obsidian Entertainment hat nämlich mit „Fallout: New Vegas“ das meiner Ansicht nach bisher beste 3D-„Fallout“ entwickelt. Glücklicherweise schlägt „The Outer Worlds“ erzählerisch und spielerisch in eine sehr ähnliche Kerbe und könnte fast schon als Spin-Off von Bethesdas postapokalyptischem Franchise durchgehen – im positiven Sinne.

Denn aktuell hat die Marke „Fallout“ nicht mehr den besten Ruf: „Fallout 76“ kann man eigentlich nur als Totalausfall beschreiben. Das Game erschien total verbuggt, bietet wenig interessanten Content und sorgte zuletzt durch ein 100 Euro teures Jahres-Abonnement für Schlagzeilen, dessen Einführung Bethesda offenbar wichtiger gewesen ist, als an neuen Inhalten und Fehlerbehebungen zu arbeiten.

Ganz anders da „The Outer Worlds“: kein mit Mikrotransaktionen vollgestopftes Online- RPG / Möchtegern-Survival-Game, sondern ein waschechtes Single-Player-Rollenspiel. Dabei könnte man durchaus als dreist verstehen, wie ähnlich das Gameplay und der schwarze Humor der „Fallout“-Marke stehen. Aber hey, Obsidian war eben auch an jener Marke beteiligt und viele RPG-Urgesteine, die vorher bei Bioware und Co. zu Hause gewesen sind, werkeln mittlerweile bei diesem Studio. Und dass die Jungs und Mädels immer noch ihr Handwerk verstehen, zeigt dieses Game.

Direkt zu Beginn wird man in die ironische Spielwelt geworfen, in der im All große Konzerne um die Vorherrschaft kämpfen. Man selbst kann nun in die Hand nehmen, ob man, so wie der erste NPC (Phineas Vernon Welles) mit dem man in Berührung kommt es wünscht, der Tyrannei der Unternehmen ein Ende macht – oder aber vielleicht selbst der größte Kapitalist im Halcyon-System wird. Wie in Obsidians eigenem „Fallout: New Vegas“ oder auch den Bioware-Titeln der alten Schule, bevor man langweiligen Looter-Shootern den Vorzug gab, spielen die Entscheidungen des Spielers eine enorme Rolle.

Dabei wird man nicht von einem simplen Karma-System mit klarer Aufteilung in „Gut“ und „Böse“ gebeutelt, sondern kann stets nach eigenem Gutdünken verfahren. Allerdings bekommt man durchaus in verschiedenen Gebieten einen gewissen Ruf. Wer also stets mit der Knarre im Anschlag Bewohner abknallt oder dem Diebstahl frönt, wird schnell berüchtigt. Frei steht es einem aber dennoch. Alle Charaktere des Spiels kann man umholzen – bis auf einen.

Wer weniger soziopathisch veranlagt ist und nach Gesellschaft sucht, kann sich mit bis zu sechs Begleitern zusammentun, von denen man aber nur zwei zurzeit mitnehmen kann. Diese Companions sind alle gut gemacht und bringen natürlich auch ihre eigenen Hintergrundgeschichten und damit verknüpften Missionen mit. Auch unterhalten sie sich nicht nur miteinander, sondern auch über die Entscheidungen, welche man trifft. Geht ihnen etwas völlig gegen den Strich bzw. man verstößt wiederholt gegen ihre Prinzipien, kann es auch zum Bruch kommen.

Um derlei Konflikte zu umgehen, kann man sich unter den Fertigkeiten auch ein goldenes Zünglein antrainieren. Dann umgeht man generell so manchen Kampf. Was ich persönlich endlich mal gescheit finde: Wer gerne mit Charisma und Überzeugungskraft vorgeht, wird dadurch nicht automatisch im Kampf zum Schwächling. Das ist ja sonst leider in RPGs gerne der Fall, weil man eben die in das Verhandlungsgeschick investierten Punkte dann z. B. nicht in das Zielen mit Waffen pumpen kann.

In „The Outer Worlds“ erhält man aber auch für den Kampf nützliche Bonus-Fertigkeiten. Hat man etwa seine Überzeugungskraft entsprechend gesteigert, dann kauern manche Gegner bei Feuergefechten nach Verletzungen temporär quasi in Ehrfurcht nieder und sind dadurch leichter verwundbar. Auch eure Companions könnt ihr dabei anpassen. Obwohl mir die Begleiter insgesamt fast alle gut gefallen haben, bis auf den etwas dümmlichen Felix, sind sie im Kampf Freud und Leid zugleich. Etwa sind ihre Spezialfähigkeiten hilfreich. Jedes Mal, wenn man sie aktiviert, muss man aber eine ewig gleiche Cutscene verfolgen. Das nervt schon nach kurzer Zeit, sodass ich mir wünschen würde, dass die Cutscene entweder nur ab und zu getriggert würde oder abschaltbar wäre.

Außerdem ist es mir gerne passiert, dass ich auf einen Gegner ballern wollte, einer meiner KI-Begleiter es aber für sinnvoll hielt freudig zum Nahkampf zu schreiten – natürlich genau durch meine Schusslinie. Immerhin kann man das Verhalten der Begleiter ein wenig anpassen. Wer keine Lust auf die NPCs hat, kann auch als einsamer Wolf losziehen – dann verpasst ihr aber das oft unterhaltsame Geschnatter der Begleiter.

Ebenfalls ein interessantes Gimmick, das man aber wohl selten aktiviert: Wenn ihr im Spiel bestimmte Aktionen ausführt, könnt ihr unterschiedliche Malusse erhalten. Lasst ihr euch etwa oft von Robotern unter Strom setzen, könnt ihr eine entsprechende Phobie entwickeln. Das führt dann zwar anschließend zu Nachteilen im Kampf mit den Robos, bringt aber als Gegengewicht auch Vorteile mit sich. Leider lohnt es sich meistens nicht, da die Vorteile spielerisch weniger bringen, als dass die Nachteile euch einschränken. Kann man also eher als atmosphärischem Gag ansehen.

Die Kämpfe sind dabei ohnehin nicht das Highlight von „The Outer Worlds“. Denn auch da gibt es Parallelen zu „Fallout“. So versucht man sich Egoshootern anzunähern, alles fühlt sich aber doch deutlich zäher an. Immerhin gibt es eine recht große Waffenvielfalt und auch Modifikationen, die bestimmten Elementarschaden zufügen. Gut gelöst ist, dass man sich mehrere Waffen griffbereit halten kann. So kann man je nach Gegnertyp fix wechseln, um jeweils den richtigen Schadentyp anzurichten.

Während die Kämpfe zwar Laune machen, aber doch etwas hölzern anmuten, sind es die Gespräche mit anderen Charakteren und die abwechslungsreichen Questen, welche „The Outer Worlds“ locker auf eine Stufe mit den besten RPGs der letzten Jahre hieven. Gute Stories, schwarzer Humor und vielschichtige Charaktere waren schon immer Stärken von Obsidian Entertainment, welche sie auch hier ausspielen. Jede Aufgabe birgt eine nette, kleine Geschichte und auch so gut wie immer mehrere Lösungswege.

Was es nicht gibt, ist eine offene Spielwelt. Mich persönlich hat das aber null gestört: Stattdessen dient euer Raumschiff, ähnlich wie in „Mass Effect“ die Normandy, als Hub von dem aus ihr zu verschiedenen Planeten reist. Jene Gebiete sind ausreichend groß dimensioniert, sodass sie zur Erkundung einladen und immer wieder neues bieten. Man merkt allerdings schon, dass hier kein Riesenbudget wie bei manch anderem Game dahinter steckte, denn die Spielwelt erreicht etwa nicht die Lebendigkeit eines „Red Dead Redemption 2“. Das macht man aber meines Erachtens mit den toll geschrieben Dialogen und Charakteren wett.

Die Spielzeit soll mit 20 bis 30 Stunden bei „The Outer Worlds“ kürzer ausfallen, als bei manchen anderen Brechern der letzten Zeit, das ist aber eher ein Bonus: Das Game bietet ausreichend Unterhaltung fürs Geld, es stiehlt euch aber nicht durch stumpfe Sammelaufgaben und Co. die Zeit. Somit ist jede Minute unterhaltsam. Wer außerdem den Xbox Game Pass abonniert hat, kann „The Outer Worlds“ ohne Mehrkosten zocken – denn der Titel ist schon enthalten.

Kleines Fazit? „The Outer Worlds“ hat mich zum Lachen und zum Nachdenken gebracht, denn der vielschichtige, schwarze Humor ist oft hintergründiger, als man auf den ersten Blick wahrnimmt. Endlich gibt es mal wieder ein von Story und Charakteren getragenes RPG, das richtig Laune macht. Ach: Und erstaunlicherweise halten sich die Bugs komplett in Grenzen, was ich bei einem Obsidian-Projekt wahrlich nicht erwartet hätte. Die Grafik mag dabei nicht auf dem allerneuesten Stand sein, natives 4K an der Xbox One X und eine Mischung aus der Farbenprächtigkeit von „No Man’s Sky“ und dem rüden Charme der „Fallout“-Serie hinterlassen aber einen guten Gesamteindruck.

Solltet ihr also wie ich auf klassische Singleplayer-RPGs stehen und „Fallout: New Vegas“ ganz besonders geliebt haben: Tatsächlich haben sich alle Hoffnungen erfüllt und „The Outer Worlds“ ist quasi die Fortsetzung im Geiste, die ich mir immer gewünscht habe.

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Hauptberuflich hilfsbereiter Technik-, Games- und Serien-Geek. Nebenbei Doc in Medienpädagogik und Möchtegern-Schriftsteller. Hofft heimlich eines Tages als Ghostbuster sein Geld zu verdienen oder zumindest das erste Proton Pack der Welt zu testen. Mit geheimniskrämerischem Konto auch bei Facebook zu finden.

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12 Kommentare

  1. Was ich ein bisschen schade finde ist die fehlende deutsche Sprachausgabe – das nimmt einen die Freude an den Dialogen weil man ja alles lesen muss. da höre ich dann den NPCs nicht zu.

    • André Westphal says:

      Ja, das stimmt Synchro-Fans gucken da in die Röhre. Mich persönlich hat es nicht gestört, da die Konsole eh bei mir auf Englisch steht und ich alles entsprechend in der Sprache zocke. Wer aber auf eine dt. Synchro hoffte, muss mit den deutschen Untertiteln leben. Die sollen aber zumindest sehr gut übersetzt sein.

  2. @Andre, Mali? In Afrika? Oder meintest Du Malus? 🙂

  3. André Westphal says:

    Malusse ist tatsächlich richtig, auch mal wieder was gelernt. Ich kenne das aus meinen RPG-Kreisen auch immer als „die Mali“, scheint einfach so ne Angewohnheit zu sein :-).

    • Yep, u-Deklination. Manchmal ist Lateinunterricht doch ganz hilfreich. jetzt nur noch das häßlich Wort Content über Bord werfen, ist nämlich auch so ne Angewohnheit statt Inhalt zu schreiben (ist tatsächlich dasselbe, nicht nur das gleiche) 😉

  4. Wurststulle says:

    Kann mich der Meinung nicht anschließen, welche Outer Worlds als besseres Fallout beschreibt.
    Auch wenn die Handschrift Obsidians klar erkennbar ist, ist es wohl eher ein loot Shooter als RPG. Es ist unfertig, was die Tage ja nichts überraschendes ist und leider mit viel zu wenig und wenig abwechslungsreichem Kontent.
    Gunplay macht Spaß, Grafik ist Hübsch (wenn man kurzsichtig ist), Dialoge nur von npc’s vertont und auch nur english,..und ja, teilweise witzig. Charakterentwicklung kommt viel zu kurz um als RPG durchzugehen und Loot ist ‚boring‘. Leveldesign nach dem Motto „Große Verpackung,wenig Inhalt“…und so weiter und sofort…bin echt enttäuscht aber leider nicht überrascht.
    VG Wurststulle

    • André Westphal says:

      Das wundert mich ehrlich gesagt, finde auch absolut nicht, dass hier (wie bei „Anthem“) ein Loot-Shooter vorläge. Finde auch nicht, dass das Spiel übergroß wäre, im Gegenteil. Die einzelnen Planeten sind in der Größe ja eher überschaubar und man hat sich auf die Charaktere und Questen konzentriert, statt auf eine überbordende Spielwelt mit Sammelaufgaben.

      Aber da sind Geschmäcker verschieden, klar.

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