Neue Hoffnung für Tinnitus-Betroffene: Rückwärtskanäle im Ohr als Therapieansatz

Foto von Franco Antonio Giovanella auf Unsplash

Neulich gelesen und für spannend befunden, da ich viele Betroffene kenne. Ein Forschungsteam der University of Southern California hat einen Ansatz zur Behandlung von Tinnitus entdeckt. Die Wissenschaftler fanden einen bisher wenig verstandenen Mechanismus zwischen Gehirn und Ohr, der das störende Ohrgeräusch verursachen könnte.

Die Grundlage der Entdeckung liegt in der Funktionsweise unseres Gehörs. In der Cochlea, auch Hörschnecke genannt, befinden sich winzige Sinneshärchen. Diese bewegen sich durch Schallwellen und erzeugen elektrische Signale, die über Nervenfasern zum Gehirn weitergeleitet werden. Interessanterweise verlaufen einige dieser Nervenbahnen in die entgegengesetzte Richtung – vom Gehirn zur Cochlea. Diese Rückwärtskanäle gaben Wissenschaftlern lange Zeit Rätsel auf.

Die Forscher nutzten für ihre Untersuchungen die optische Kohärenztomographie, kurz OCT. Diese Bildgebungsmethode ermöglicht es, dreidimensionale Aufnahmen von Gewebe mittels Lichtwellen zu erstellen. Die Technik wurde bisher hauptsächlich in der Augenheilkunde eingesetzt, etwa zur Diagnose von Glaukom (Grüner Star). Das Team adaptierte die Methode für Untersuchungen am Ohr.

In Experimenten mit genetisch veränderten Mäusen, deren Hörvermögen durch deaktivierte Nerven eingeschränkt war, zeigte sich: Die Cochlea arbeitete bei den Tieren mit erhöhter Intensität. Dies deutet darauf hin, dass das Gehirn bei Hörverlust versucht zu kompensieren, indem es die verbliebenen funktionierenden Haarzellen zu verstärkter Aktivität anregt – ähnlich wie man bei einer defekten Lautsprecheranlage die Lautstärke der noch funktionierenden Boxen erhöht.

Diese Übersteuerung könnte der Grund für das charakteristische Tinnitus-Pfeifen sein, vergleichbar mit dem Rauschen überlasteter Lautsprecher. Die Wissenschaftler planen nun, Medikamente zu testen, die diese rückwärts verlaufenden Nervenfasern blockieren. Davon könnten nicht nur Tinnitus-Patienten profitieren, sondern auch Menschen mit Hyperakusis, bei denen alltägliche Geräusche als unangenehm laut wahrgenommen werden (nicht zu verwechseln mit Misophonie (da habe ich einige Geräusche…)). Die Entwicklung wirksamer Medikamente steht allerdings noch am Anfang und muss in weiteren Studien untersucht werden.

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Hallo, ich bin Carsten! Ich bin gelernter IT-Systemelektroniker und habe das Blog 2005 gegründet. Baujahr 1977, Dortmunder im Norden, BVB-Fan und Vater eines Sohnes. Auch zu finden bei X, Threads, Facebook, LinkedIn und Instagram.

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25 Kommentare

  1. Ich bin seit Jahren in absolut erfolgloser Behandlung mit meinem Tinnitus, und die Beschreibung könnte ein spannender Weg sein. Zumindest für mich klingt es logisch.

    Überlastete Lautsprecher verzerren, aber rauschen nicht, glaube ich. Verstärkerklipping mag wohl zu etwas führen, das als Rauschen interpretiert werden könnte. Selbst defekte Membranen oder Spulen sorgen nicht für Rauschen. Rauschen entsteht meist durch unsaubere Signalverarbeitung, Überlast in der Verstärkerkette oder durch digitale Fehler.

    • Ich hab extrem Tinnitus aber zum Glück merke ich es nicht wenn ich nicht aktiv daran denke.
      Ich frage mich immer wie sich stille wirklich anhört.

    • Das mit dem Verstärker macht schon auch Sinn – Tinnitus kann anscheinend auch ein Ausdruck der Überlastung von Personen sein – zumindest kenne ich das von Betroffenen: steigt der Stress, kommt der Tinnitus zurück, bzw. wird lauter. Die hypothetische Pathogenese wäre dann:
      Verstärker sitzt im Gehirn und wird bei zu viel Stress mit überlastet und entlädt sich auf die Rückkanäle ==> Tinnitus

      Schade, dass wir von einem Medikament im Normalfall noch >10 Jahre weg sind.
      https://www.vfa.de/de/forschung-entwicklung/pharmaforschung/so-entsteht-ein-medikament.html

      @Carsten
      Vielen Dank für den Report, gerne mehr davon!

    • Hast du den Physiokram rund ums Kiefergelenk und Hals/Nackenmuskulatur probiert? Bei mir schlägt das zumindest so weit an, dass man im Alltag überwiegend unbelastet ist. Aber ich kann den Ton auch durch Veränderung der Kieferstellung modulieren. Nennt sich wohl somatoformer Subtyp.

      • Ich war einige Wochen in einer Tages-Reha und habe ua. genau das geübt.
        Inzwischen kann ich zwar im Wesentlichen unbelastet und konzentriert meinen Job machen, muss bei langen Autofahrten jedoch für einen zweiten Fokus sorgen. zB Hörbücher, Podcasts, die für Berieselung sorgen; Radio bzw. Musik reicht nicht aus. Leider werde ich nachts vom Tinnitus auch mal geweckt und muss auf Hörbücher Rückgriff nehmen.

  2. Danke für den Beitrag Carsten – sehr interessant!
    Gut zu wissen, dass es in diesem Bereich vielleicht ein paar Fortschritte gibt.

    #DieHoffnungStirbtZuletzt

  3. Ich hab noch vor Tagen die Info gelesen, dass Tinnitus garnicht im Ohr entsteht sondern im Gehirn selber. Wie passt das zusammen?

    • Das kommt drauf an. Ich habe z.B. seit einem Unfall einen pulssynchronen Tinnitus. Ich höre im rechten Ohr meinen Puls, vergleichbar mit dem, was man bei einer Dopplersonographie hören kann. Das ist also zumindest in meinem Fall ein Geräusch, das objektiv da ist, aber eigentlich unter der Wahrnehmungsschwelle liegen sollte. Ich hab allerdings auch den Effekt, dass ich das je nach Stresslevel mal mehr, mal weniger. Manchmal ists sogar praktisch, weil man nicht am Handgelenk fühlen muss sondern einfach mitzählen kann. Meistens ist das Gepoche aber einfach nur nervig. Die Erklärung oben klingt plausibel und würde auch die Intensitätsschwankung des Tinnitus erklären.

      • Das ich meinen Puls im Ohr höre, hab ich auch schon einige mal gehabt. Aber nix dauerhaftes. Das hätte ich ehrlich gesagt garnicht als Tinnitus betitelt. Aber ich kenne auch die genaue definitiv nicht von Tinnitus. Aber ja, sowas „mechanisches“ ist dann sicher nichts mehr im Gehirn selber.

        • Ich bin absolut kein Fachmann für diese Thematik, aber ich glaube, dass das Hören des eigenen Pulses normal ist, wenn es absolut ruhig ist und ich entspannt bin. Die Adern zum Gehirn verlaufen in der Nähe des Sinnesorgans.
          Aber ich mag mich mit meiner Einschätzung auch irren. Ich habe es immer als etwas schönes empfunden meinen eigenen Herzschlag (über den Puls) zu hören wenn es wirklich ruhig war und ich entspannt bin.

  4. Danke Carsten – freue mich Updates!

  5. Hab auch seit Jahrzehnten Tinnitus (ein Motörhead-Konzert war sicher nicht hilfreich), aber wenn ich irgendwas an TV oder Radio laufen lasse, merk ich es kaum noch.
    Ich schätze aber, dass ich, bis das Medikament freigegeben ist, längst tot bin. 😉

  6. @caschy:

    Ich vermute, Du meinst statt „Mysophobie“ die „Mysophonie“.
    Ich hab das auch leicht, manche Geräusche ertrage ich fast nicht…

  7. Du meinst wohl eher Misophonie und nicht Mysophobie.

  8. Ich habe bei meinem Tinnitus herausgefunden, dass er bei zu wenig trinken, Schlaf oder massiver Verspannung (natürlich auch bei Stress) heftiger wird. Zudem hatte ich noch meine Weisheitszähne. Inzwischen wurden diese gezogen, das hat generell einiges an Verspannungen und Problemen rausgenommen, aber wenn ich auf die ersten 3 Dinge achte, habe ich super selten und super wenig Tinnitus.

  9. 2006 war meine Frau zufälligerweise an der TU Ingolstadt bei einer Führung in einem echofreien Raum. Nach der Führung fragte der Professor wie es sich angefühlt hat – daraufhin hat sich eine Frau gemeldet die gesagt hat, dass sie ihren Tinitus nicht mehr wahrnimmt (ehrlicherwweise weiß ich nicht für wie lange der Effekt angehalten hat). Später hat sich darauf in der TU Ingolstadt ein Tinitus-Projekt entwickelt.
    2020 hatte ich selber einen Tinitus mit lauten Rauschen (nicht Pfeifen). Da ich mich an den danmaligen Besuch meiner Frau an der TU erinnerrt habe, habich ich mir einen AirPod Pro zugelegt. Wenn es ganz schliumm wurde habe ich beim Zubettgehen den AirPod Pro ins Ohr gesteckt und nur auf Noise Canceling gestellt – und was soll ich sagen, damit konnte ich viel besser trotz dem Tinitus-Rauschen einschlafen. Sicher, das Kopfkino spielt eine große Rolle, je mehr man daran denkt desto mehr hört man das. Mit zusätzlichen künstlichen Rauschen (leise Regen-/Wellen-Geräusche) konnte ich das über die Monate hinweg „wegprogrammieren“. Heute höre ich das Rauschen nur noch extrem selten, meistens nur wenn ich mal zuviel Alkohol getrunken habe, in Stress oder übernächtigt bin.
    Wer zur TU Ingolstadt und dem Tinitus-Projekt da näheres wissen möchte: einfach googeln nach den folgenden Begriffen:
    tu ingolstadt tinitus
    Hoffe es hilft den einen oder anderen…

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