„Mass Effect: Andromeda“ angespielt: Neandertaler im Weltall

Letzte Woche ist „Mass Effect: Andromeda“ erschienen. Als Ex-Bioware-Fan, musste ich mir das Spiel natürlich anschauen. „Ex-Fan“ deshalb, da der Entwickler nach dem Ausscheiden der Gründer und mauen Games wie „Mass Effect 3“ und „Dragon Age: Inquisition“ bei mir stark an Ansehen eingebüßt hat. Den Ruf, den früher Bioware genossen hat, schreibe ich heute CD Projekt zu, die mit „The Witcher 3: Wild Hunt“ für mich den immer noch geltenden Maßstab in Sachen Rollenspiele gesetzt haben. Um „Mass Effect: Andromeda“ gab es ja nun auch bereits handfeste Kontroversen – zurecht?

So hatte man bei den zahlreichen Vorabvideos und Veralberungen fast das Gefühl hier eher eine Art „Die Sims“ vor sich zu haben, denn alles fokussierte sich nur noch auf die Charakter-Interaktionen bzw. -Animationen. Speziell die Gesichtsanimationen stießen etlichen Fans sauer auf. Ja, und sie sehen tatsächlich alles andere als zeitgemäß aus. Wie sehr euch das stört, wird aber ganz individuell variieren. Mich bringt es ab und an zum Lachen, da mein Charakter unabsichtlich etwas bräsig aussieht mit seinem markanten Kinn und langen Gesicht. Lässt Bioware dann die Muskeln, sorry die Animationen, spielen, wirkt ein schmitziges Grinsen bei meinem Protagonisten oft wie dümmliches aus der Wäsche gucken. Mich amüsiert das meistens aber eher, als dass es mich ärgert. Da hat natürlich jeder andere Toleranzgrenzen.

Ansonsten versprach Bioware vorab aus den Fehlern in „Dragon Age: Inquisition“ (DAI) gelernt zu haben. Für mich sind der größte Kritikpunkt an DAI die generischen Nebenaufgaben. So hatte ich damals beim Zocken teilweise das Gefühl ein austauschbares MMORPG zu spielen. Wenn ich beim Abschluss einer Quest nur ein Textfenster aufploppen sehe und immer wieder die gleichen, monotonen Aufgaben erledige, schalte ich schnell ab. Zumal das bei DAI nicht einmal ganz zu vermeiden war, da man Machtpunkte anhäufen musste, um neue Gebiete freizuschalten bzw. in der Story voranzukommen. Und jene Machtpunkte bekam man durch stupides Abarbeiten der Sidequests.

Das hat Bioware sich für „Mass Effect: Andromeda“ zum Glück geschenkt. Die Questen sind allerdings auch hier nicht das Gelbe vom Ei. So kommen jedenfalls die Nebenaufgaben keineswegs an eben ein „The Witcher 3: Wild Hunt“ oder auch nur ein „Fallout 4“ ran. Als Beispiel: Eine Forscherin auf der Nexus-Station bittet mich ein verschollenes Außenteam zu suchen. Klingt erst einmal nach einer spannenden Aufgabe, die eine überraschende Wendung nehmen könnte. Steckt vielleicht eine neue Alienrasse hinter dem Verschwinden? Ich freute mich schon darauf das Außenteam zu bergen und zu erfahren, in welche Schwierigkeiten sie geraten sein könnten. Das Ergebnis ist leider, dass man im Weltall mit einem Knopfdruck eine Anomalie scannt und ein zerstörtes Shuttle findet, das man aber nicht betreten kann. Textfenster ploppt auf und nun kann man der Questgeberin nur noch berichten. Tolle Inszenierung sieht anders aus. Viele Questen gehen leider in diese Ecke.

So hat man in „Mass Effect: Andromeda“ einen Scanner, mit dem man in der Umgebung immer wieder Objekte untersucht. Das gibt Forschungspunkte. Kommt auch in Aufgaben leider sehr verschwenderisch zum Einsatz: Eine Komponente des Raumschiffs geht kaputt – scannen. Man findet eine Leiche – scannen. Man sucht nach Ressourcen – scannen. Rasch bin ich es leid geworden, stets die ganze Umgebung nach Objekten abzuscannen, die mich orange anleuchten.

Zumal das Crafting-System, für dass ich eben immer wieder Ressourcen abscanne, ziemlich redundant ist: Erst muss ich nämlich Punkte ausgeben, um Baupläne zu erfinden. Anschließend gebe ich in einem separaten Menü nochmal anderweitige Punkte aus, um auf Basis der Baupläne nun Waffen, Rüstungen und andere Gegenstände zu entwickeln. Macht in etwa so viel Spaß wie eine Steuererklärung zu erstellen.

Was das Gameplay betrifft, ist „Mass Effect: Andromeda“ noch actionlastiger als die Vorgänger. Die Action ist hier aber wesentlich besser gelöst. So war Commander Shepard stets ein unbeweglicher Klotz, der selbst vor kleinsten Hindernissen nur ratlos herumstehen konnte. Der neue Hauptcharakter Ryder, ihr wählt ob männlich oder weiblich, saust mit seinem Jetpack durch die Lüfte, überspringt Hindernisse und rennt deutlich flotter durch die Pampa. Weiter zurückgefahren hat Bioware die RPG-Elemente trotz der Action aber nicht. Weiterhin gebt ihr Skillpunkte für neue Fähigkeiten aus und setzt dabei nach und nach Schwerpunkte für euren Charakter.

Ob ihr also am Ende einen Ballerfritzen entwickelt, der vor allem treffsicher und mit Kawumm Gegner umholzt, oder Punkte in die biotischen Sonderfähigkeiten buttert, die euch Gegner werfen bzw. deren Schilde manipulieren lassen, entscheidet ihr selbst. Klar, von der Tiefe eines klassischen Rollenspiels wie „Torment: Tides of Numenera“ bleibt „Mass Effect: Andromeda“ weit entfernt, wurde aber im Vergleich mit „Mass Effect 3“ nicht noch weiter abgespeckt.

Viel Kritik wurde an der Story und dem langsamen Anfang des RPGs laut. Das kann ich wiederum bisher nicht nachvollziehen – befinde mich aber auch aktuell noch auf der ersten, großen Welt EOS. So gefiel mit der Prolog um den Vater von Ryder und die ersten Erkunden auf der Suche nach „goldenen Welten“, welche die Menschen besiedeln könnten, ausgesprochen gut. Gut, wieder mal wird der Hauptcharakter, so klassisch wie einfallslos für Bioware, zum „Auserwählten„. Aber da andere Charaktere das ebenfalls skeptisch sehen, fand ich das durchaus gut gelöst. Bei den Nebencharakteren fehlt es zwar noch an denkwürdigen Figuren, aber so fade wie die Begleiter in „Dragon Age: Inquisition“ sind sie auch lange nicht.

Abseits der Charakteranimationen spielt die Grafik übrigens auf einem zeitgemäßen Niveau. Die Außenareale auf den Planeten sind sehr detailliert, es gibt schöne Licht- und Schatteneffekte und auf der PS4 Pro ist auch die Performance solide – das soll auf der regulären PS4 leider weniger der Fall sein. Die Soundkulisse ist dagegen zwiegespalten. So setzt „Mass Effect: Andromeda“ Musik eher spartanisch ein und die Waffensounds und Co. entsprechen dem Genre-Standard. Die deutsche Sprachausgabe konnte ich mir nicht lange antun, bin da aber auch kein Maßstab, da ich durch englischsprachige Videospiele-Synchronisationen verwöhnt bin.

Auch die englischen Sprecher enttäuschen aber überraschenderweise. Zwar sind mir Sprecher wie Natalie Dormer („Game of Thrones“) oder Kumail Nanjiani („Silicon Valley“) positiv aufgefallen, die meisten Charaktere in Biowares Space Opera klingen aber entweder apathisch oder seltsam wankelmütig. So hapert es an der Dialogregie. Teilweise schwanken Spielfiguren in der Betonung in einem einzigen Dialog zwischen „latent aggressiv“ bis „übermäßig freundlich“. Hier fehlte den Sprechern ganz offenbar der Kontext. Das ist bei der Menge an Aufnahmen in großen Rollenspielen natürlich auch schwierig, aber andere Genrevertreter zeigen eben, dass es deutlich besser geht.

Sollte ich ein vorläufiges Fazit ziehen, müsste ich bisher sagen, dass mir „Mass Effect: Andromeda“ trotz der Mankos insgesamt gut gefällt – denn das Spiel ist zum Glück mehr als die Summe seiner Teile. Das Game nur wegen der Animationen zu bashen, empfinde ich als überzogen. Allerdings sollte man hier auch keinen Bioware-Hit der alten Schule erwarten. Bisher habe ich den Eindruck, dass „Mass Effect: Andromeda“ eine Art verbessertes „Dragon Age: Inquisition“ im Weltall ist. Wer sich mit diesem Gedanken anfreunden kann, wird viel Spaß mit dem Game haben. Zumal es, solltet ihr euch denn dafür begeistern, auch noch einen Multiplayer-Modus gibt – ist für mich bei der Reihe „Mass Effect“ irrelevant, aber vielleicht habt ihr ja Lust drauf. Alle anderen sollten vielleicht auf das schon am 4. April erscheinende „Persona 5“ warten – ein weiteres, hochkarätiges RPG.

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Hauptberuflich hilfsbereiter Technik-, Games- und Serien-Geek. Nebenbei Doc in Medienpädagogik und Möchtegern-Schriftsteller. Hofft heimlich eines Tages als Ghostbuster sein Geld zu verdienen oder zumindest das erste Proton Pack der Welt zu testen. Mit geheimniskrämerischem Konto auch bei Facebook zu finden.

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16 Kommentare

  1. Maue Games wie Mass Effect 3??? Irgendwie leben wir nicht in der gleichen Spielewelt glaube ich…Sieht die Fachpresse übrigens ebenso wie ich. Naja Geschmack ist ja so eine Sache, aber Mass Effect 3 als mau zu bezeichnen?

  2. Da fällt mir das Video von CrowbCat ein: https://www.youtube.com/watch?v=7KWkao73HuU

  3. André Westphal says:

    Ich fand auch schon „Mass Effect 2“ „nur“ ganz gut. Die Story empfand ich in beiden Spielen einfach als nicht sonderlich doll. Während das erste „Mass Effect“ noch ein gutes RPG mit soliden Action-Elementen war, war der zweite Teil dann ein ordentliches Actionspiel mit guten RPG-Elementen – und Teil 3 dann ein sehr hölzerner Shooter mit sporadischen RPG-Einsprengseln. Speziell das Ende war dann eine Katastrophe, aber das ist ja mittlerweile schon zum Meme aufgestiegen :-D.

    Man merkt bei Bioware halt, dass die Firma mittlerweile eine völlig andere ist, seit die Gründer und die ganze alte Garde weg sind. Ich spiele deren Games immer noch ganz gerne, aber sie sind halt nicht mehr der RPG-Primus wie früher – da wurden sie nicht nur von CD Projekt und Bethesda, sondern auch von kleineren Indie-Entwicklern überholt. Was ich schade finde, denn früher stand Bioware für tolle RPGs mit großartigen Geschichten. Mittlerweile machen sie halt gute Action-RPGs mit durchschnittlichen Stories.

  4. Die ME-Reihe hat mir sehr viel Spaß bereitet. Allerdings werde ich denen das Ende von ME3 nie und nimmer verzeihen. Eine derart geile Story so zu verhunzen am Ende… Obwohl es verschiedene Möglichkeiten gab das Spiel zu beenden, trotz nachgelieferter Extended Version, wie kann das so verhunzen??!

    Seitdem rühre ich BioWare nicht mehr an. Ende.

  5. André Westphal says:

    Zumal die Extended Version das Ende eigentlich auch nicht wirklich besser gemacht hat, wobei das der Name leider ja schon sagte – es wurde nur dezent erweitert. Ein Schlag ins Gesicht war halt, dass im Grunde eh alle vorherigen Entscheidungen schnurz waren. Hab mich da auch verschaukelt gefühlt damals.

    ME: Andromeda könntest du aber trotzdem eine Chance geben, wenn du die Spiele an sich mochtest -mir gefällt es trotz deutlicher Kritikpunkte bisher ganz gut. Aber ansonsten kommt ja nächste Woche Persona 5 ;-).

  6. Hab ja noch tatsächlich The Witcher 3 vor mir… wird auch mal Zeit das ganze anzugehen.

    Ich hab gerade nachgeschaut: Meine TW 2 savegames warten seit dem 30.06.2011 und 18:01 auf weitere Verwendung 😀

    ME:A schnappe ich mir vllt. mal bei einem Sale und erinnere mich dann an deine Empfehlung.. Obs was wird steht in den Sternen 🙂

  7. André Westphal says:

    Witcher 3 solltest du unbedingt spielen, auch die Erweiterungen! Für mich das beste Rollenspiel seit „Final Fantasy VI“ auf dem SNES – also wirklich ein absoluter Meilenstein. Selbst die Nebenquesten erzählen kleine Geschichten. Großartiges Game und für mich in jedem Fall eines der besten Spiele, das ich je gespielt habe – und das sage ich nicht leichtfertig :-).

  8. Witcher 3 ist in der Tat ein großartiges Spiel. Die zweite Erweiterung hat mir sogar noch besser gefallen als das Hauptspiel. Die erste Erweiterung fand ich dagegen sehr schwach. Die hat mir einfach keinen Spaß gemacht. Alles rund um diese Hochzeit ist einfach nur dermassen Lahm…

  9. Witcher 3 ist für mich aktuell auch noch der Maßstab, wobei ich sagen muss, dass in Horizon Zero Dawn gerade auch die Nebenmissionen abwechslungsreich sind und ihre eigene Story haben.

  10. Wenn man Horizon Zero Dawn als Open-World-RPG miteinbezieht, muss man natürlich auch das neue Zelda nennen. Und das ist einfach nur großartig. Für mich das beste Spiel seit vielen, vielen Jahren.

  11. Danke André, für diesen differenzierten Artikel. Endlich jemand der nicht nur auf Animationen und kleinen Mankos aufbaut, sondern das Gesamtpaket sieht. Ich stimme dir in vielen Punkten zu. Außer dass ME3 schlecht sein soll?! Da war ME2 storytechnisch schwächer – aber so unterscheiden sich die Geschmäcker nun mal.
    Die Goldenen Zeiten von Bioware sind vorbei. Die intelligenten Spielemacher, welche auch gerne neue Wege ausprobiert haben, sind längst nicht mehr in der Firma. Nun läuft vieles in der Profitschiene. Neue Ansätze bedeuten ein unkalkulierbares Risiko und sind somit, bei sicher gewinnbringenden Marken, nicht gerne gesehen. Schade!

  12. Danke. Mit den einleitenden Worten habe ich mir den weiteren Verlauf gespart. Meine ich ernst. Denn eine subjektive Rezension von jemandem dem die beiden Vorgänger nicht gefallen habe welche ich hingegen grandios fand (Ende ME3 mal abgesehen), brauch ich dann nicht lesen.
    Ich werde ME:A definitiv spielen, aber warum werden solche Releasetermine so ungünstig gewählt?… kennen die keine Jahreszeiten? So kann ich immerhin noch eine Updates abwarten und ebenso einen gewissen Preisverfall 🙂

  13. Luccabrasi says:

    ME hat mich damals vom Hocker gehauen, tolle Story und Technik. ME2 war für mich nur aufgewärmter Kaffee aber ok, ME3 hat mich schon nicht mehr interessiert. Tja, leider merkt man das viele gute Leute gegangen sind, Bioware verkommt zum Mittelmaß….

  14. Ich habe mittlerweile 38 Stunden bei MA: Andromeda. Mir macht das unendlich Spaß. Ich habe nichts an dem Spiel auszusetzen.

  15. André Westphal says:

    Ich fand das erste Mass Effect auch richtig super und war dann bei Teil 2 vor allem von der Story enttäuscht. Die könnte man im Wesentlichen in wenigen Wörtern komprimieren in: „Crew einsammeln, Rumballern, weiter Crew einsammeln, Rumballern – Ende“. Irgendwie sammelt man nur wieder seine Leute ein, macht zweimal richtig Dampf und das wars dann. Klar, da gibt es mehr Drumherum, aber spannend war die Geschichte für mich absolut nicht. Gerettet wurde das Spiel dadurch, dass die Charaktere an sich immer noch gut gemacht waren.

    „Horizon Zero Dawn“ finde ich übrigens auch klasse, aber das würde ich jetzt nicht mit anderen Rollenspielen vergleichen, da es doch eher ein klassisches Action-Adventure ist. Da ordne ich Zelda dann auch ein. Aber wie gesagt, nächste Woche kommt „Persona 5“ und da habe ich sehr hohe Erwartungen :-).

  16. Muss sagen ich bin vom neuen Mass Effect auch angetan. Das einzige was mich bis jetzt stört ist ein Teil der Story.

    Achtung – Mini-Spoiler:
    Anfangs hat man das Gefühl, man kommt als „erster“ in eine neue, unendeckte Galaxie. Alles ist neu und unerforscht, Gefahren warten – So ein bisschen wie bei „Interstellar“.

    Dann stellt sich aber raus, das doch schon welche hier sind… Die schon Zeit hatten sich zu verstreiten (Exilanten) und die hießige Alienspezies ist auch schon kennengelernt und kennt die Milchstrassen-Völker auch schon. Selbst die Bildschirme auf dem „Heimatplaneten“ zeigen irdische Zahlen an.

    Das macht für mich die Atmosphäre irgenwie kaputt – so toll andere Dinge doch weiterentwickelt wurden.

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