„Bleeding Edge“ ausprobiert: Multiplayer-Game, das nicht aneckt

Der Name „Bleeding Edge“ des neuesten Spieles aus dem Hause Ninja Theory („Hellblade: Senua’s Sacrifice“) deutet auf ein Spiel mit Ecken und Kanten sowie einem eigenen Stil hin. Allerdings ist das exakte Gegenteil der Fall, denn das Multiplayer-Game nutzt ein recht formelhafte Ästhetik, die irgendwo zwischen „Borderlands“ und „Overwatch“ angesiedelt ist. Kann der Titel, der auch ohne weitere Mehrkosten im Xbox Game Pass enthalten ist, denn spielerisch überzeugen?

„Bleeding Edge“ basiert auf der Unreal Engine 4 und wurde von mir an der Microsoft Xbox One X ausprobiert. Normalerweise lasse ich von Multiplayer-Games grundsätzlich eher die Finger, da ich höchstens im Couch-Koop unterwegs bin. Da ich netterweise aber direkt von Microsoft einen Code zur Verfügung gestellt bekam, habe ich mich durchgerungen einmal hereinzuschnuppern. Fasst meine Meinung aber als diejenige eines Spielers auf, der sonst wenig bis gar nicht in Titeln wie „Fortnite“, „Apex Legends“ oder „Overwatch“ unterwegs ist.

Dabei grenzt sich „Bleeding Edge“ von anderen Genrevertretern dadurch ab, dass mehr Fokus auf den Nahkampf gelegt wird. Dabei laufen die Matches mit jeweils 4 gegen 4 andere Spieler ab. Fernkampf ist auch möglich, funktioniert zum derzeitigen Zeitpunkt aber nicht besonders gut. Wer den entsprechenden Charakter, wie Kulev oder Zero Cool, auswählt, fühlt sich meistens eher von den Kämpfen abgekoppelt. So ist die Reichweite der Waffen beschränkt und aus dem Hinterhalt wie ein Sniper auf die Gegner halten, das ist hier im Grunde nicht drin.

Die Ranged-Charaktere bringen dabei auch Heiler-Fähigkeiten mit, doch irgendwie fühlt man sich da doch recht zurückgestuft, wenn man sich mit einer Figur wie Zero Cool auf Distanz halten muss und bestenfalls mal die mickrige Pistole mit beschränkter Reichweite zücken kann, um Gegner ein wenig anzukratzen. Jeder Charakter bringt dabei auch eigene Super-Moves mit, sodass das Ausprobieren sich natürlich lohnt, um den eigenen Favoriten ausfindig zu machen. Wie gesagt, mir wurden die Attitüde und Optik der Charaktere aber etwas zu sehr auf das typische „Supercool“ getrimmt, sodass von Ecken und Kanten nichts zu spüren ist und man eher im Einheitsbrei versinkt.

Auch wenn die Charaktere alle kurze Hintergrundgeschichten erhalten haben und man ihnen durch Optik und Posen etwas Persönlichkeit einflößt, so ist es mit Storytelling hier nicht weit her. Aber das erwartet wohl auch kaum niemand von einem derartigen Multiplayer-Knüppler. Das Gameplay hat aber durchaus einen eigenen Stil, da der Schwerpunkt eben auf Nahkämpfen liegt und durchaus etwas an klassische Prügler wie „Street Fighter II“ erinnert. Denn auch hier kann man Kombos ausführen, kontern und mit Spezialangriffen die Wende einleiten. Dadurch fühlt sich „Bleeding Edge“ in seiner Dynamik durchaus anders an als etwa ein „PUBG“. Sogar einen Training-Modus gibt es, um sich mit den Fähigkeiten der Figuren vertraut zu machen.

Die beiden Spielmodi „Objective Control“ und „Power Collection“ machen durchaus Laune, wobei der zuletzt genannte der bessere von beiden ist. Hier müsst ihr zufällig erscheinende Kanister aufstöbern, die enthalten Powerzellen abgreifen und sie dann an einem festen Punkt abliefern, um dem Sieg näherzukommen. Werdet ihr natürlich zwischenzeitlich von Gegnern über den Haufen geschossen bzw. zerschmettert, können jene die Zellen ergattern und ihrerseits versuchen sie abzuliefern. „Objective Control“ ist da vertrauter, hier müsst ihr eben bestimmte Punkte auf der Karte unter eurer Kontrolle behalten und je nachdem wer länger durchhält, ihr oder der Gegner, siegt.

Als wohl größten Gegner muss man jedoch die Kamera einstufen, die bei „Bleeding Edge“ häufig in eine Art Epilepsie-Modus verfällt und herum wackelt, als gäbe es kein Morgen mehr. Das liegt wohl daran, dass man eben oft im Nahkampf auf Tuchfühlung geht und sich dadurch zwangsweise sehr nahe an die Gegner bewegt. Gehen dann mehrere Kontrahenten auf einen los, weiß die Kamera nicht, wen sie da recht in Szene setzen soll und entscheidet sich entweder für buntes Gewackel oder zoomt auch gut und gerne mal ins Player-Charaktermodell hinein.

Das ist schade, denn man kann zwar auch ohne Lock-On zocken, dann treten die Probleme aber in anderer Weise auf, da man Gegner fix aus dem Blick verliert, was gerade bei Controller-Steuerung, wie sie nun mal an Konsolen genutzt wird, zu Schwierigkeiten führt. PC-Gamer sind da mit Maus und Tastatur besser dran. Immerhin gibt es Anpassungsoptionen für die Charaktere, sodass ihr ihre Boni und Fähigkeiten für euren eigenen Stil optimieren könnt. Jeder Charakter bringt daher drei Slots für Mods mit, welche ihm passive Boosts oder aktive Fähigkeiten verleihen.

Ein Problem ist, dass das Balancing bei „Bleeding Edge“ nicht sehr ausgereift ist und manche Charaktere schnell stärker als andere werden. Außerdem kam mir die Community während meiner Ausflüge eher jung und sturköpfig vor. So gab es haufenweise Matches mit bunt zusammengewürfelten Gruppen, die kein Gleichgewicht aus Heilern, Tanks und anderen Streitern finden konnten. Derzeit gibt man sich also oft dem Chaos hin und die Taktik geht flöten, wenn man nicht selbst bereit ist, Rollen zu übernehmen, auf die der Rest des Teams keine Lust hat, weil jeder sich auf seinen Liebling festlegt – das ist aber natürlich kein Fehler der Entwickler.

Mein Fazit: „Bleeding Edge“ ist ein guter Multiplayer-Brawler, der kurzfristig Laune macht und etwas unter der Community und vor allem der massenhaften Konkurrenz leidet. So haben Gamer aktuell die Wahl aus vielen, hochkarätigen Multiplayer-Titeln. Und wenn man ein „Fortnite“ kostenlos zocken kann, dann ist die Frage, wie viele Nutzer 29,99 Euro in „Bleeding Edge“ investieren werden – auch wenn man dem Titel zugutehalten muss, dass Microsoft folgerichtig auch bei der Monetarisierung etwas weniger aggressiv ist. Wer den Xbox Game Pass hat, dem empfehle ich das Hereinschnuppern. „Bleeding Edge“ macht Spaß und ist wirklich ein gutes Spiel, hat aber eben das Problem entgegen dem Namen kaum anzuecken und so wenig herauszustechen.

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Hauptberuflich hilfsbereiter Technik-, Games- und Serien-Geek. Nebenbei Doc in Medienpädagogik und Möchtegern-Schriftsteller. Hofft heimlich eines Tages als Ghostbuster sein Geld zu verdienen oder zumindest das erste Proton Pack der Welt zu testen. Mit geheimniskrämerischem Konto auch bei Facebook zu finden. PayPal-Kaffeespende an den Autor.

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2 Kommentare

  1. Danke für die kurze Zusammenfassung, wurde von ms auch schon regelrecht genötigt, dieses Spielmacher auszuprobieren mit free Codes. Aber Setting, Design usw sind mir irgendwie zuwider. Und es scheint doch so, dass man sich den Hockern hier anbiedern will, um doch auch noch was vom fortnite Kuchen abzubekommen…

  2. Klingt nach absoluten Mittelmaß, im Bereich der Multiplayer tödlich.

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